Paul Krüger weiß, was richtig ist und was falsch. Und – besonders wichtig – wer schuld daran ist, wenn etwas nicht so ist, wie es sein sollte: Horst Krause gibt den titelgebenden Antihelden des Fernsehfilms „Krüger aus Almanya“ so überzeugend unsympathisch, dass man schon nach einer halben Stunde, ach was, nach zehn Minuten, den Fernseher entnervt wieder ausschalten möchte.
Der ehemalige Ringer lebt in einem Berliner Plattenbau mit Schrankwand, Kofferradio – aus dem natürlich Helene Fischer schallt – und der Lieblingskneipe Am Flachbau um die Ecke. Und mit einem strengen Blick auf alles, was nicht in sein fest gefügtes Weltbild passt: Dazu gehören natürlich die „Mohammedaner“, junge Muslimas mit Kopftuch, hupende Autokorsos und überhaupt alles, was ihn daran erinnert, dass sich die Welt weitergedreht hat, während er stehen geblieben ist. „Die Deutschen sterben aus, Hildchen“, vertraut er dem Grab seiner Frau an. Und nun will seine Enkelin Annie (Anna Unterberger) ausgerechnet einen von denen heiraten! Einen Türken! Da muss man doch was machen!
Zum Glück ist Opa Krüger nicht das einzige wandelnde Klischee des Films
Also packt Opa Krüger Würstchen, Instantkaffee und Entkeimungstabletten in den abgewetzten Koffer und setzt sich in den Flieger nach Antalya, um seiner Annie die Hochzeit wieder auszureden. Er landet in einem modernen Urlaubsresort, zusammen mit der Wirtin seiner Lieblingskneipe als heimatlicher Begleitung. Dort warten die nächsten zivilisatorischen Hindernisse in Gestalt von Schlüsselkarten, russischen Touristen und seiner Weigerung, mit Deniz (Karim Günes), dem Zukünftigen seiner Enkelin, auch nur zu reden. Lieber spricht er in Deniz’ Anwesenheit über betrügerische Ausländer und Eheschleicher. Das führt wenig überraschend dazu, dass Annie das Gespräch mit dem eigentlich so geliebten Opa Paul einstellt.
So lustig-schmerzhaft es auch ist, den Clash zwischen deutschem Spießertum und allem anderen zu beobachten: Würde nur der deutsche Betonkopf veralbert, wäre die Komödie von Regisseur Marc-Andreas Bochert, der auch zusammen mit Elke Rössler für das Drehbuch verantwortlich zeichnet, etwas dünn. Zum Glück ist Krüger nicht das einzige wandelnde Klischee: Neben vielen anderen Nebenfiguren, die einem aus dem Urlaub bekannt vorkommen dürften – Teppichhöker, Taxifahrer und andere Nutznießer der Blauäugigkeit genau wie überkorrekte Deutsche und lautstark fröhliche Russen – bildet Annies Familie gleichsam das türkische Gegenstück zu Krüger. Seinem Großonkel (Beyazit Gülercan), dem gestrengen Familienoberhaupt, zu erklären, dass er keine Türkin, keine Muslima, sondern eine Deutsche heiraten will, das traut sich Deniz doch nicht so recht und bläst die Verlobung kurzerhand wieder ab.
Krüger ist derweil auf einer Sightseeingtour verschütt gegangen und muss sehen, wie er wieder zurück zum Hotel kommt. Und als er so notgedrungen mehr von Land und Leuten kennen lernt, als er je gewollt hätte, merkt er langsam aber sicher, dass er es vielleicht doch nicht mit Wilden zu tun hat, die den Untergang des Abendlandes herbeiführen wollen. Und dass es Menschen gibt, die größere Probleme haben als er. Zum Beispiel der kleine Junge Omar (Caspar Fischer-Ortman), der ihm mehrfach auf den Straßen Antalyas begegnet und von dem Krüger schließlich erfährt, dass er aus Syrien geflüchtet ist.
Natürlich bleibt „Krüger aus Almanya“ letztlich nicht viel mehr als ein 90 Minuten langes, hübsches kleines Fernsehmärchen über die Völker- und Kulturenverständigung. Aber eines mit einem wahren Kern: Auch wenn ein Krüger – oder ein türkischer Patriarch – sich sicherlich nicht von jetzt auf gleich um 180 Grad drehen würde, bloß, weil man einmal ein Glas Tee miteinander getrunken hat, fürchtet man sich doch immer am meisten vor dem, was man überhaupt nicht kennt. Hat man es dann erst einmal kennengelernt, bemerkt man möglicherweise Ähnlichkeiten, wo man sie nicht vermutet hätte.
„Krüger aus Almanya“, Sa 20.15 Uhr, ARD
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