Interview

Spiegel-Online will Bezahlschranke einführen

| Lesedauer: 11 Minuten
Alexander Josefowicz, Maike Schiller
Spiegel-Chefredakteure  Klaus Brinkbäumer (l.) und Florian Harms

Spiegel-Chefredakteure Klaus Brinkbäumer (l.) und Florian Harms

Foto: Marcelo Hernandez

Die Paywall solle voraussichtlich noch 2015 an den Start gehen. Zu diesem und anderen Themen äußern sich die Spiegel-Chefs im Abendblatt-Interview.

Hamburg.  Blaue Anzüge zum hellen Hemd, große Uhren, beide Herren krawattenlos und freundlich. Die Chefredakteure von „Spiegel“ und „Spiegel Online“, Klaus Brinkbäumer und Florian Harms, treten auch optisch als Team auf. Nach einem schweren Jahr für das Hamburger Nachrichtenmagazin haben sie Wolfgang Büchner in der Leitung beerbt. Ein Gespräch über das, was war (viel Gerede um Interna), was ist (ein umstrittener Nazi-Titel mit Angela Merkel) und was kommen soll (das Bezahlangebot).

Hamburger Abendblatt: Im letzten Jahr brauchte man keine Daily Soap, wenn man stattdessen die Berichterstattung über den „Spiegel“ verfolgt hat. Wie ging es Ihnen damit?

Florian Harms: Natürlich war das ein schwieriges Jahr für uns alle im Haus, und nicht jeder hat seine Enttäuschungen schon verdaut. Es hat aber in meiner Wahrnehmung einen Stimmungswechsel gegeben: Wir schauen jetzt nach vorn und krempeln die Ärmel hoch.

Hat der Konflikt um Wolfgang Büchner der Marke „Spiegel“ geschadet?

Klaus Brinkbäumer: Punktuell sicherlich, langfristig nicht. Wir kritisieren ja gern, wenn es angemessen ist, Parteien, Konzerne, die Kanzlerin oder den amerikanischen Präsidenten und wollen weniger gern zum Gegenstand ebensolcher Kritik werden. Eine langfristige Wirkung hat das nicht, weil wir selbst in jener Zeit gute Hefte gemacht und die Auflage gehalten haben. Und nun sind wir längst darüber hinaus.

Was ist die Marke „Spiegel“ heute?

Brinkbäumer: Zunächst einmal sind das Inhalte, eine Art von Journalismus, die wir besser beherrschen als andere: Investigativjournalismus, politischer Journalismus, die großen Gespräche, Erzählungen und Rekonstruktionen. „Der Spiegel“ 2015 ist aber nicht nur das Magazin, sondern auch Online und TV, ein trimediales Haus, das lernt, neue Darstellungsformen zu entwickeln. Und solche Lernprozesse rumpeln manchmal. Aber wir wären ja verrückt, wenn wir aus unseren Möglichkeiten nicht das Beste machen würden.

Was ist das Beste? Zu boulevardlastig zu sein ist ein Vorwurf, der „Spiegel Online“ gern gemacht wird. Sie sind auf Klicks angewiesen.

Harms: Klicks sind nicht mehr die wichtigste Währung. Was für uns zählt, ist das Vertrauen unserer Nutzer. Zudem trifft der Boulevard-Vorwurf einfach nicht zu: Wir berichten zwar über boulevardeske Themen wie das Dschungelcamp. Aber die Berichterstattung darüber ist nicht boulevardesk. Wir heben das Thema auf eine Metaebene oder geben ihm einen originellen Dreh. Die Mischung macht den Charme aus.

Es gibt also keinen Spagat zwischen „Spiegel“ und „Spiegel Online“?

Harms: Für mich ist das immer eine Frage der Themenmischung. Und sieht man sich die Magazin-Titel an, gab es da auch immer wieder bunte Themen. Die Menschen interessieren sich für das pralle Leben, also sollten wir darüber berichten. Es ist eine Frage der Aufbereitung und der Haltung: Wir geben uns nicht damit zufrieden, Ereignisse einfach abzubilden, sondern nähern uns einem Thema mit unserem Verständnis von kritischem, leidenschaftlichem und meinungsstarkem Journalismus.

Brinkbäumer: Ich glaube, es gibt einen Unterschied zwischen Magazinjournalismus und Internetjournalismus. Dass wir beim Magazin meist präzise und ausgeruht arbeiten können, liegt genauso in der Natur der Sache wie die Tatsache, dass „Spiegel Online“ schneller agieren muss. Unter den Umständen, unter denen „Spiegel Online“ arbeitet, machen die Kollegen das perfekt. Dass die Kollegen vom Print denken: „Hey, da ist eine Überschrift zu schrill“, das kommt zweimal im Jahr vor. Und dann stimmen wir es ab und steuern es aus.

Braucht das Magazin einen anderen Titel, seit es am Sonnabend erscheint?

Brinkbäumer: Andere Titel: nein. Kraftvolle, originelle, emotionale Titel: selbstverständlich ja. Das haben wir in den vergangenen Jahren nicht immer geschafft. Der „Spiegel“ wird aber nicht kuschelig, eher markanter. Ich glaube nicht, dass Leser am Wochenende unterfordert werden wollen.

Es kommt vermutlich selten vor, dass der Chefredakteur sich für eine Titel-Auswahl rechtfertigen muss wie für die aktuelle Ausgabe mit Angela Merkel inmitten von Nazis vor der Akropolis. Was haben Sie sich dabei gedacht?

Klaus Brinkbäumer: Ich musste mich nicht rechtfertigen, es gab keinen Druck. Dass ein Chefredakteur sich vor seine Redaktion stellt, ist normal, dass Texte oder Titelbilder in sozialen Netzwerken hitzig und mitunter vorschnell diskutiert werden, ist genauso normal. Letzteres verlangt von vielen Journalisten, dass sie erreichbar sind, die eigene Arbeit erläutern – alles nicht ungewöhnlich. Ich mache das gern und antworte ja auch auf Mails unserer Leser.

Verstehen Sie die Empörung?

Klaus Brinkbäumer: Gibt es die ernsthaft? Unsere Titelgeschichte erforscht, wieso in der Euro-Debatte die Nazi-Zeit zum Thema wird, wieso ausgerechnet jetzt wieder über Reparationsforderungen gestritten wird. Ein wunder Punkt, ein heikles, wichtiges Thema. Die Titelzeilen machen klar, dass es um den europäischen Blick auf Deutschland geht. Angela Merkel ist ausgeschnitten und bewusst plump in Farbe auf ein Schwarz-Weiß-Foto geklebt worden; wir zitieren, verfremden, ironisieren einen Blick von außen auf Deutschland.

Wie geht es mit der Verzahnung zwischen Print und Online weiter?

Harms: Um als ganzes Haus dauerhaft erfolgreich zu sein, wollen und müssen wir uns in den Redaktionen von „Spiegel“, „Spiegel Online“ und „Spiegel-TV“ immer enger verzahnen. An einigen Stellen arbeiten wir bereits intensiver zusammen als früher, zudem machen wir uns viele Gedanken, wie wir große Geschichten auf allen Plattformen – Print, digitales Magazin, Website, Apps und TV-Sendungen – erzählen.

Müssen die Print-Kollegen künftig auch für die anderen Plattformen mitdenken?

Brinkbäumer: Müssen im Sinne von Zwang: nein. Wir wollen aber ein modernes Medienhaus in allen Darstellungsformen werden, und selbstverständlich wünschen wir uns, dass die „Spiegel“-Redaktion dazu beiträgt. Der angebliche Konflikt zwischen „Spiegel“ und „Spiegel Online“ ist übrigens mindestens überzeichnet worden. Der Konflikt, den wir hatten, war einer zwischen einer leidenschaftlichen, selbstbewussten „Spiegel“-Redaktion und ihrem Chefredakteur und keiner zwischen Print und Online.

Was unterscheidet eigentlich die Doppelspitze Brinkbäumer und Harms von der Doppelspitze Georg Mascolo und Mathias Müller von Blumencron?

Harms: Wir verstehen uns als partnerschaftliches, kollegiales Team. Wir stimmen uns ab, wir vertrauen uns. Und wir versuchen gemeinsam, dieses Haus voranzubringen.

Die beiden waren aber gleichberechtigte Chefredakteure. Sie, Herr Brinkbäumer, sind bei „Spiegel Online“ auch Herausgeber. Wie finden Sie das, Herr Harms?

Harms: Die Herausgeberschaft gab es ja auch früher schon. Wir haben vereinbart, dass die beiden Redaktionen eigenverantwortlich unter ihrer jeweiligen Chefredaktion arbeiten. Sollte es mal zu einem Konflikt kommen, hat einer das letzte Wort. Das ist sinnvoll.

Bedeutet das: Magazin first?

Brinkbäumer: „Der Spiegel“ first. Das hat über Jahrzehnte bedeutet: das Heft zuerst. Das hat sich verändert, unser erstes Ziel ist heute: bezahlter Journalismus first. Das meint im Moment noch immer vor allem das Heft, aber das gilt eben auch für eine Bezahlwelt, die sich irgendwann auf „Spiegel Online“ öffnen wird.

Wann wird das sein?

Harms: Wir wollen noch in diesem Jahr erste Konzepte ausprobieren. In der Online-Welt funktioniert es aber nicht, von heute auf morgen ein Rollo herunterzulassen und dem Leser zu befehlen: So, das musst du ab jetzt bezahlen. Man muss Bezahlangebote smarter konzipieren: Mit welchen Produkten können wir die spezifischen Bedürfnisse von unterschiedlichen Zielgruppen passgenau bedienen, einen echten Mehrwert bieten? Für die Nutzer muss es so einfach wie möglich sein.

Brinkbäumer: Wir verkaufen den „Spiegel“ ja bereits digital sehr erfolgreich, und wir perfektionieren ihn gerade. Was im Netz außerdem Geld kosten darf, das werden wir herausfinden.

Zwischen die Chefredakteure passe kein Blatt, hört man aus der Redaktion. Zwischen den Online-Chef und seine Redaktion passe mittlerweile ein ganzes Buch. Selbst wenn das eine Übertreibung sein sollte – was kann damit gemeint sein?

Harms: Einen Vertrauensverlust sehe ich überhaupt nicht, ich empfinde die Zusammenarbeit mit meinen Kollegen als sehr eng. Das ist in meinen Augen die beste Online-Redaktion Deutschlands, die Tag für Tag unter Zeitdruck und in einer sich rapide verändernden Branche exzellente Arbeit leistet. Natürlich haben auch wir in der Chefredaktion die Weisheit nicht mit Löffeln gefressen, sondern wollen gemeinsam mit den Kollegen die richtigen Antworten auf die Herausforderungen finden.

Brinkbäumer: Sicherlich hat es im vergangenen Jahr Kränkungen in diesem Haus gegeben. Es wäre illusorisch zu sagen, dass all das mit einem Wechsel in der Chefredaktion sofort vergessen wäre. Es hat aber, so weit ich es beurteilen kann, nichts mit Florian oder mir zu tun, weil die Kollegen wissen, dass wir ernsthaft versuchen, sämtliche Abteilungen zusammenzuführen. Ich habe auf allen 14 Etagen einen guten Eindruck: Endlich reden wir wieder über Recherchen, Texte, Filme, Projekte.

Eine Personalie hat die Redaktion – und die Leser – zuletzt besonders beschäftigt: Nikolaus Blome. Wie geht es mit dem früheren „Bild“-Vize weiter?

Brinkbäumer: Über hausinterne Personalien sprechen wir natürlich nicht.

Vielleicht können wir über das Impressum sprechen. Nikolaus Blome hatte bisher eine eigene Zeile als „Mitglied der Chefredaktion“, jetzt ist er weiter unten als Leiter des Hauptstadtbüros gelistet. Das wirkt wie eine sanfte Degradierung.

Brinkbäumer: Nikolaus Blome ist in der Hauptrolle Hauptstadtbüroleiter und als solcher sehr geschätzt. Und er ist selbstverständlich immer noch Mitglied der Chefredaktion.

Die Kollegen der Online-Redaktion interessiert vermutlich auch, ob sie irgendwann den gleichen Status wie ihre bessergestellten Printkollegen bekommen.

Brinkbäumer: Das ist nachvollziehbar. Aber das ist nichts, was die Chefredakteure mal eben herbeiführen können; es sind rechtlich komplizierte Gesellschafterfragen. Dass wir uns Redakteure wünschen, die auf Augenhöhe zusammenarbeiten, wissen die Kollegen.

Harms: Selbstverständlich haben wir Online-Redakteure ein gutes Recht, an entscheidender Stelle mitzureden. Dieses Ziel zu erreichen beschäftigt uns.

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