Meinung

Dieter Nuhr und Erhan Toka sollten Yoga machen!

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Kerim Pamuk

Der Kabarettist Kerim Pamuk betrachtet für das Abendblatt die aufgeregt geführte Diskussion um Dieter Nuhrs Ansichten zum Islam. Es gibt nicht DEN Islam, aber über eine Milliarde Muslime weltweit.

Hamburg. Mein Sohn Yusuf geht in die erste Klasse und erzählte mir kürzlich, dass ein Mitschüler ihn in der Pause mehrfach und ohne Grund geschubst hätte. Ich fragte ihn, wie er denn reagiert hätte, wie seine Verteidigung aussah? Yusufs lapidare Antwort: „Ich habe erst mal Yoga gemacht.“ Uns Orientalen ist das Auge-um-Auge-Prinzip sehr vertraut. Daher hat mich diese Art der Konfliktbewältigung sehr irritiert.

Inzwischen aber muss ich sagen: Mein Sohn hat recht! Vielleicht sollten auch alle Beteiligten der aktuellen Hysterie um Dieter Nuhrs Äußerungen zum Islam erst mal Yoga machen. Schaden würde es sicherlich nicht. Auf der einen Seite ein Dogmatiker, der seine religiösen Gefühle verletzt sieht, was bei Fundamentalisten bekanntlich schnell und oft der Fall ist, und eine Anzeige erstattet.

Auf der anderen Seite ein bekannter Kabarettist, der zwar gerne und viel austeilt, aber sehr dünnhäutig reagiert, wenn seine Äußerungen oder TV-Sendungen kritisiert werden. Es ist sicherlich hilfreich, wenn man die chronisch Empörten beider Seiten an ein paar Fakten erinnert, die zwar nicht „sexy und plakativ“ sind, aber bei der ausufernden und höchst wirr geführten Diskussion helfen:

Selbstverständlich leben wir in einem freien Land, und jedermann kann sich zu allen Themen ausgiebig äußern. Davon ist die Religion nicht ausgenommen. Ob man sich auch wirklich zu allem äußern muss, insbesondere wenn man wenig bis keine Ahnung hat, steht auf einem anderen Blatt.

Grundsätzlich gilt: Es gibt nicht DEN Islam, aber über eine Milliarde Muslime weltweit, die sich selbst als Muslime bezeichnen und ihren Glauben in den unterschiedlichsten Formen praktizieren und leben. Wenn Nuhr trotzdem immer wieder und bewusst von „dem Islam“ und „den Muslimen“ spricht, hat das weniger mit Satire als mit nach Zustimmung gierendem Populismus zu tun.

Spräche man umgekehrt ständig von „dem Christentum“ und würde sämtliche Gruppen von den Katholiken, Protestanten, Zeugen Jehovas bis zu den wiedergeborenen Christen in einen Topf werfen, würde auch dem Letzen klar werden, wie hirnrissig die gnadenlose Vereinfachung „DER Islam“ ist.

Es ist müßig und sinnlos, sich über den Koran oder die Bibel zu streiten

Man kann und darf selbstverständlich aus dem Koran sinnfrei Passagen entlehnen, um zu zeigen, wie böse und aggressiv diese Religion ist. Ob der werte Kollege auch aus der Bibel zitiert hat, als das Militär der USA versehentlich mehrere Hochzeitsgesellschaften in Afghanistan und Pakistan in die Luft jagte, würde ich stark bezweifeln.

Es ist müßig und sinnlos, sich über den Koran oder die Bibel zu streiten. Beides sind sogenannte heilige Bücher, und die wahrhaft Gläubigen haben noch nie eine andere Weltsicht als die eigene zugelassen. Aus beiden kann man sich bei Bedarf herausdestillieren, was man braucht. Der Koran schreibt übrigens dem Gläubigen vor, die Anhänger anderer „Buch-Religionen“ zu achten und zu respektieren. Aber diese Koranstelle ist dem Kollegen vermutlich unbekannt oder nicht geheuer.

Nur weil ein empfindsamer Betonkopf einen Kabarettisten angezeigt hat, geht das Abendland nicht unter. Genauso wenig, wenn ein paar Trottel mit Masken in Wuppertal durch ranzige Spielhallen laufen. Etwas mehr Vertrauen in Judikative, Legislative und Exekutive wäre angebracht und nicht der ewig gleiche diffus-hysterische Aufschrei, der sich dann gegen alles irgendwie Islamische richtet.

Nuhr stilisiert sich zum letzten aufrechten Kabarettisten und keilt kräftig gegen Kollegen aus

Vor allem verhindert das Gekeife der Erregten einen echten Diskurs, der dringend nötig wäre. Wie sich zum Beispiel eine demokratische Gesellschaft gegen Fundamentalismus jeglicher Art mit rechtstaatlichen Mitteln wehren kann? Ist die von jahrzehntelanger Ignoranz und seit dem 11. September 2001 vom schlechten Gewissen geprägte Integrationspolitik wirklich zielführend? Ist es Aufgabe des Staates, in den Schulen Gebetsnischen für kleine Muslime einzurichten, oder wäre es nicht wichtiger und angebrachter, für gleiche Bildungschancen zu sorgen?

Stattdessen werfen sich beide Seiten wieder einmal dankbar die Bälle zu, und bei zynischer Betrachtung könnte man feststellen, dass vor allem zwei Männer von der Diskussion profitieren: Dieter Nuhr und Erhat Toka. Toka ist vermutlich der Held des Jahres in seiner Gemeinde. Und Nuhr stilisiert sich zum letzten aufrechten Kabarettisten und keilt kräftig gegen großartige und verdiente Kollegen wie Georg Schramm aus. Was von einem enormen Selbstbewusstsein zeugt.

Denn als brillanten Entlarver gesellschaftlicher und politischer Missstände hat man vor allem Georg Schramm kennengelernt. Dieter Nuhr eher weniger. Mit süffisantem Grinsen vorgetragene Plattitüden zeugen nicht automatisch von einer klaren politischen Haltung. Oder um es dem Kontext gemäß zu formulieren: Eine Anzeige macht noch keinem zum Märtyrer der Meinungsfreiheit.

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