“Ich spiele immer um mein Leben“, sagte Dieter Pfaff einmal. Am Dienstag starb der Hamburger TV-Schauspieler (“Der Dicke“, “Bloch“, “Sperling“) ist im Alter von 65 Jahren an Krebs.

Hamburg. Das sagt sich so leicht, und am liebsten mit einem jovial herablassenden Lächeln: Der Dicke da hinten, der ist nicht übergewichtig, der ist nur untergroß. Und schon ist man drin in der einengenden, demütigenden Schublade, ob man will oder nicht. Ob es passt oder nicht.

Dieter Pfaff, ein Schauspieler von ganz einzigartigem Format, war in seinen Rollen stets übergroß. Man konnte ihn nicht übersehen, man musste ihm zuhören, weil in dieser Extraportion Mensch mehr Verständnis für die Schwächen der Welt zum Ausdruck kam als in den meisten anderen. Er war ehrlich und seine eigene Unvollkommenheit lag dabei unter einer nur hauchdünnen Schicht leiser, pragmatischer Gelassenheit verborgen.

Einer dieser banalen Gesichtverleiher und Filmvisagenmöblierer war Pfaff nie, keiner dieser austauschbaren Serien-Schönlinge in Konfektionsklamotten, die quer durchs Feierabendprogramm mal einen Banker spielen konnten, dann einen Kommissar, einen Finanzbeamten oder einen Tankwart, und das alles je nach Drehbuch-Geschmacksrichtung entweder in Gut oder in Böse.

Pfaff blieb seinen eckigen, so gar nicht gemütlichen Charakteren treu und kam aus seiner Haut nicht heraus. Er war für die Zwischentöne zuständig und für die druckempfindlichen Grauzonen des Gemüts, die er wahrscheinlich sehr gut kannte. Er war ganz anders, als er aussah. "Mein Kopf geht gern spazieren, und ich bin sicher, dass meine Schwere auch damit zu tun hat, mich auf dem Boden zu halten." Volles Risiko in einem Metier, in dem vor allem darauf geachtet wird, dass sich Oberfläche und Innenleben der Figuren und ihrer Lieferanten bitte schön gleichen mögen.

Das war nicht immer einfach und in den meisten Fällen seiner Krimis weit von populärer Ranschmeiße entfernt, aber genau dafür wurde er von seinem Publikum geliebt. Pfaff hatte Fehler. Und Laster. Er wog zu viel, aß zu viel, rauchte zu viel. Er wollte womöglich einfach zu viel von sich für andere. Er war, unübersehbar, einer von uns. Jemand, der immer genau einmal mehr aufstehen möchte, als er hinfällt. "Ich spiele immer um mein Leben." Bei anderen klingt das deutlich koketter.

Vielleicht hat Dieter Pfaffs Güte und Besonderheit im Einerlei des TV-Grundrauschens auch damit zu tun, dass er sich nicht von den Umständen in das Rampenlicht hetzen und dort verheizen ließ. Eigentlich hätte aus dem gebürtigen Dortmunder - Vater Polizist, Mutter Angestellte - ein Lehrer werden sollen. Etwas Ordentliches und Solides eben. Doch das Studium blieb unvollendet, weil das Theater-Dasein dem 1968er-Abiturienten viel reizvoller erschien. Auch den Anlauf in eine Karriere als Rockstar hat er sich damals verkniffen, weil er erkannte, dass sein Idol Eric Burdon leider doch so brutal viel besser war als er.

Pfaff arbeitete sich eher bedächtig durch die Theaterlandschaft nach oben. Für einen Schauspieler würde er zu viel denken, hat man ihm damals gesagt. Also war er zunächst nicht auf der Bühne, sondern als Wegweiser daneben tätig, als Dramaturg und Regisseur. Da schadete Denken vor dem Spielen nicht. Bis 1990 unterrichtete er - als ganz und gar unverschulter Lehrer - Theater-Nachwuchs in Graz. Aus der Idee, Therapeut zu werden, ist über kunstvoll verbogene Umwege dann doch etwas geworden.

„Der Fahnder“ begründete die Popularität

Mit der ARD-Vorabend-Serie "Der Fahnder", in der er noch einen skurrilen Wachtmeister gab, wuchs Pfaffs Popularität ins Überregionale, es folgte der RTL-Ermittler "Balko" und der erste Grimme-Preis. Für die Verkörperung eines aufmüpfigen und verknallten Franziskanermönchs in "Der Esel" gab es den zweiten. Und weil Pfaff es leid war, auf die Nebenrollen des launigen Dickerleins festgenagelt zu werden, erfand er in enger Zusammenarbeit mit verständnisvollen Autoren sein eigenes, anspruchsvolles Genre. Leicht wollte er es sich nicht machen, darin waren andere besser. Der Kommissar Sperling war eine Gemeinschaftsproduktion mit dem Filmemacher Dominik Graf, wie Pfaff Detailfetischist.

Je maßgeschneiderter und nachdenklicher diese Pfaff-Charaktere waren, in denen er immer auch seelsorgerisch tätig war, desto reduzierter war der sichtbare Aufwand, den er dafür vor der Kamera betrieb. "Ich will immer so spielen, dass die Leute vergessen, einen Schauspieler zu sehen." Der Psychologe Bloch, der Kleine-Leute-Anwalt Ehrenberg und der Bulle Sperling waren immer nur Variationen eines Themas, dem des mitfühlenden Kümmerers, den man in seinem Gerechtigkeitsfuror aber lieber nicht unterschätzen soll. "Meine Figuren können sehr zornig werden, und ich auch", sagte er einmal. Vorbild für Bloch war kein Geringerer als Marlon Brando als Therapeut in "Don Juan DeMarco". Pfaff war ein Überzeugungskünstler, der sich seiner Sache ganz sicher war: "Man kann nicht das spielen, was man lebt. Da gibt's keine Notwendigkeit. Wonach man Sehnsucht hat, die Ängste, die Albträume, das kann man spielen."

Nachdem er, von einem Krankheitsschub im letzten Herbst scheinbar genesen, schon wieder Hoffnung gefasst und sogar neue Drehpläne für die fünfte Staffel von "Der Dicke" geschmiedet hatte, unterlag Dieter Pfaff am Dienstag einem Lungenkrebsleiden.

Am Ende eines Abendblatt-Interviews hatte er beim zigarettenqualmvernebelten Plausch auf die Frage "Wie würden Sie folgenden Satz beenden: Das Leben ist ...?" nach vielen schönen Sätzen und Denkpausen im Bloch-Modus geantwortet: "Schön. Das Leben ist hart und grausam, aber manchmal schaurig schön. Es wechselt."

Aus Anlass des Todes von Dieter Pfaff ändert die ARD Donnerstag ihr Programm und zeigt ab 20.15 Uhr zwei Folgen von "Der Dicke". Um 21.45 Uhr folgt ein "Beckmann spezial" mit Ausschnitten von Gesprächen mit Pfaff. Im NDR wird Donnerstag (22 Uhr) "Unser Pappa - Herzenswünsche" wiederholt, am Freitag "Inas Nacht" und "Talkshow Classics" mit Pfaff. Das ZDF zeigt um 0.45 Uhr "Sperling und die Katze in der Falle" und am Freitag (23.30 Uhr) "Balthasar Berg - Sylt sehen und sterben".