Die bekannteste Nachrichtensendung des deutschen Fernsehens feiert Geburtstag. Gala mit Judith Rakers im Kreuzfahrtterminal Altona.

Hamburg. Bei der "Tagesschau" nehmen die Festivitäten kein Ende: Vor ziemlich genau zwei Jahren feierten sie in Lokstedt mit rund 350 Gästen aus Politik, Kultur, Wirtschaft und der Medienbranche die 20 000. Ausgabe der "Tagesschau" und die 10 000. Ausgabe der "Tagesthemen". Die nächste Fete stieg 16 Monate später: Im April dieses Jahres eröffnete die ARD die Feierlichkeiten zum 60. Geburtstag der "Tagesschau" mit dem zweiteiligen Quiz "Schlau wie die Tagesschau".

Und heute gibt es schon wieder eine Sause: Um 19 Uhr bittet das Erste zur großen Gala in das Kreuzfahrtterminal Altona. Durch den Abend führt Judith Rakers. Anlass ist der "60. Jahrestag der Erstausstrahlung der ,Tagesschau'", wie es in der Einladung heißt. Der ist zwar erst am 26. Dezember, aber dann ist Weihnachten.

Dass die ARD-Granden nicht aufhören, ihre "Tagesschau" zu feiern, hat zwei Gründe: Das Flaggschiff des Ersten ist omnipräsent. Es ist das mit Abstand bekannteste Nachrichtenformat des deutschen Fernsehens. Vor der "Tagesschau" gibt es kein Entrinnen: Sie gibt es im Internet, als App sowie als rund um die Uhr sendenden Nachrichtenkanal namens Tagesschau24. Zudem flimmert die "Tagesschau" neuerdings bundesweit auf 2200 Infosäulen, in Einkaufszentren und auf Bahnhöfen. Da ist es nur folgerichtig, wenn die ARD jedes halbwegs passende Jubiläum zum Anlass nimmt, um auf die "Tagesschau" aufmerksam zu machen.

Zum anderen ist die endlose Feierei auch eine Möglichkeit, sich der eigenen Identität zu vergewissern. Indem man etwa an die Anfänge im Bunker auf dem Heiligengeistfeld erinnert oder an den Tag, als Karl-Heinz Köpcke plötzlich Schnurrbart trug. Solche Sachen.

Denn die "Tagesschau"-Identität ist durchaus gespalten: Sie ist zwar "so digital wie kaum eine andere Medienmarke", wie das Fachblatt "Medium Magazin" schreibt, und damit äußerst modern. Zugleich ist ihre 20-Uhr-Ausgabe die wohl altmodischste Nachrichtensendung, die es im deutschen Fernsehen gibt. Der Online-Dienst Meedia attestierte der "Tagesschau" kürzlich "Behördenjournalismus" und rügte ihre "überkomplizierte, Substantiv-getränkte Sprache (,Die Bundesländer steuern auf einen neuen Anlauf für ein NPD-Verbotsverfahren zu')". In der Tat wirkt im 21. Jahrhundert das halbamtliche Verlesen von Meldungen, die bereits tagsüber auf allen Nachrichtenportalen des Internets liefen, schon etwas seltsam. Und wenn Judith Rakers und Jan Hofer dann auch noch so tun, als würden sie vom Blatt lesen, obwohl jeder Zuschauer weiß, dass ihre Texte aus dem Teleprompter kommen, ist das noch ein wenig seltsamer.

Es ist das Problem der ARD, dass ihre Zuschauer im Schnitt schon jenseits der 60 sind und offenbar Veränderungen strikt ablehnen. In dieser Ablehnung auch nur der kleinsten Neuerung werden sie vom Boulevard unterstützt: Als etwa gemeldet wurde, die "Tagesschau"-Fanfare könne ein klein wenig verändert werden, war die Aufregung groß. So gesehen ist es vielleicht ganz gut, dass das neue "Tagesschau"-Studio, anders als ursprünglich geplant, nicht pünktlich zum Jubiläum fertig geworden ist. Womöglich würden die neuen Touchscreen-Elemente, wie man sie von Smartphones und Tablet-PCs kennt, die "Tagesschau"-Zuschauer verunsichern.

Nun wäre es für die ARD in der Tat riskant, ihr in die Jahre gekommenes Publikum zu verprellen. Andererseits wird sie nicht ewig so weitermachen können wie bisher, denn dann droht der "Tagesschau" ein Generationenabriss. Erschwerend kommt hinzu, dass man im Ersten ganz offenbar die Rolle des Internets für den Nachrichtenjournalismus falsch einschätzt: So wird im Werbeblock für Tagesschau.de, der in keiner Hauptnachrichtensendung mehr fehlt, darauf hingewiesen, dass sich auf dem eigenen Online-Portal mehr Hintergrundinformationen zur gerade verlesenen Meldung finden. Dabei weiß mittlerweile jeder Publizistikstudent, dass die Nutzer im stationären Internet vor allem aktuelle und schnell konsumierbare Informationen suchen.

Für Analyse und Hintergrund sind sogenannte Lean-Back-Medien viel besser geeignet - wie etwa Zeitungen, Tablet-PCs, aber eben auch das gute alte Fernsehen. Komplexe Sachverhalte lassen sich idealerweise in entspannter Rezeptionshaltung erfassen. Was spräche also dagegen, die "Tagesthemen" auf eine Stunde zu verlängern und auf den Sendeplatz der "Tagesschau" zu heben? Gewiss, das ist ein radikaler Vorschlag. Aber das Mediennutzungsverhalten der unter 40-Jährigen hat sich bereits radikal geändert. Die Macher der "Tagesschau" täten gut daran, dies ins Kalkül zu ziehen.