Die von Hauptgesellschafter Bertelsmann forcierte Einstellung der aus Hamburg kommenden „Financial Times Deutschland” ist kaum aufzuhalten

Hamburg. Auch der Bürgermeister ist seit vorgestern im Bilde. Der Finanzvorstand von Gruner + Jahr ("Stern", "Geo"), Achim Twardy, hatte Olaf Scholz (SPD) aufgesucht, um ihm mitzuteilen, dass sein Verlag beabsichtigt - die Zustimmung des Aufsichtsrats vorausgesetzt -, die "Financial Times Deutschland" (FTD) einzustellen, das Unternehmerblatt "Impulse" und das Anlegermagazin "Börse Online" zu verkaufen sowie die Wirtschaftszeitschrift "Capital" nach Berlin umzusiedeln. Die Verlagstochter G+J-Wirtschaftsmedien wird es nicht mehr geben.

Für den Medienstandort Hamburg, für den sich der Bürgermeister wie kaum einer seiner Vorgänger engagiert, ist das ein harter Schlag. Nicht nur, dass die Stadt ihre letzte überregionale Tageszeitung verliert und für die deutsche Wirtschaftspublizistik nahezu bedeutungslos wird. Von den rund 350 Arbeitsplätzen, die bei den G+J-Wirtschaftsmedien nun auf dem Spiel stehen, sind 258 in Hamburg angesiedelt. Nur eine Einheit dürfte den Kahlschlag halbwegs schadlos überstehen: Facts & Figures, eine Abteilung, die Kundenzeitschriften produziert, soll der Konzerntochter G+J Corporate Editors zur Seite gestellt werden, die sich derselben Aufgabe verschrieben hat.

In Branchenkreisen herrscht weitgehend Einigkeit, dass aus wirtschaftlicher Sicht ein harter Schnitt alternativlos ist. Seit dem 21. Februar 2000 gibt es die "FTD". Geld verdient hat der einstige Hoffnungsträger nie. In den gut zwölfeinhalb Jahren ihres Bestehens steckte der Verlag rund 250 Millionen Euro in die Zeitung, die nun verloren sind. Allein in diesem Jahr wird die "FTD" wohl einen Verlust von zehn Millionen Euro machen. Das Anzeigengeschäft ist weitgehend eingebrochen. Die Auflage ist rückläufig: Offiziell liegt sie zwar noch bei gut 102 000 Exemplaren. Doch im Wesentlichen handelt es sich dabei um Zeitungen, die verbilligt an Fluglinien, Hotels und andere Interessierte abgegeben werden. Die harte Auflage, die sich aus Abonnements und dem Einzelverkauf zusammensetzt, liegt bei nicht einmal mehr 45 000 Exemplaren. In den besten Zeiten der "FTD" im Jahr 2005 lag dieser Wert bei etwa 67 000 Zeitungen.

Bereits seit März steht die Zukunft der "FTD" bei Gruner + Jahr auf der Tagesordnung. Insbesondere Thomas Rabe, Vorstandsvorsitzender von Bertelsmann, dem Hauptgesellschafter des Zeitschriftenhauses, drängte auf schnelles Handeln. "Rabe hat extrem Druck gemacht", sagt eine G+J-Führungskraft. Das kann er seit Mitte September besonders gut. Damals schied der G+J-Vorstandsvorsitzende Bernd Buchholz aus. Das von ihm verantwortete Ressort Gruner + Jahr Deutschland wurde mit der Zeitschriften-Managerin Julia Jäkel zwar neu besetzt. Der Posten des Vorstandsvorsitzenden aber nicht. "Seither regiert Bertelsmann bei uns durch", sagt eine andere Führungskraft.

Auf die neue Gemengelage führen manche im Haus auch die seltsame mediale Begleitung der "FTD"-Einstellung zurück: Unmittelbar nachdem der Vorstand sich am Dienstag für das Ende des Blattes entschieden hatte, lag der "FAZ" dieser Beschluss samt der entsprechenden Vorstandsvorlage vor. Die überregionale Zeitung sei vom Gütersloher Medienkonzern gefüttert worden, ist am Baumwall zu hören. Dieser Darstellung widerspricht ein Bertelsmann-Sprecher allerdings entschieden.

Von der "FAZ"-Meldung am Dienstag wurden auch die "FTD"-Redakteure kalt erwischt. Ihm sei leider nichts "durchgestochen" worden, schrieb "FTD"-Chefredakteur Steffen Klusmann in einer Mail an seine Mitarbeiter. Sonst hätte er sie selbst von dem Beschluss des Vorstands informiert. Wohl auch, um für alle Fälle gewappnet zu sein, thematisiert das Blatt nun sein Schicksal auf der eigenen Website: "Die ,Financial Times Deutschland' steht vor der Einstellung", heißt es dort.

Klusmann soll über die Vorgänge der letzten Tage sehr verstimmt sein. Er werde dem Zeitschriftenhaus für den Neuanfang von "Capital" zwar noch zur Verfügung stehen, heißt es in Verlagskreisen, sei aber fest entschlossen, danach Gruner + Jahr zu verlassen. Dagegen planen die Chefredakteure von "Börse Online" und "Impulse", Stefanie Burgmaier und Nikolaus Förster, einen Management-Buy-out.

Dem Gros der Mitarbeiter der G+J- Wirtschaftsmedien droht aber die Arbeitslosigkeit. Endgültige Gewissheit über ihr Schicksal dürfte ihnen der heutige Tag bringen. Dann wird die Entscheidung des G+J-Aufsichtsrats, die bei Redaktionsschluss noch nicht vorlag, wohl öffentlich gemacht werden. Bis auf die Arbeitnehmervertreter wird in dem Gremium wohl niemand gegen die Vorstandsvorlage stimmen.

Der Zeitpunkt für die Entscheidung könnte ungünstiger nicht sein: Gerade erst hat die "Frankfurter Rundschau" einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt. Das in 14 Städten erscheinende Stadtmagazin "Prinz" wurde eingestellt. Und aktuell plant die "Berliner Zeitung" einen Stellenabbau. Betriebsbedingte Kündigungen sind dort nicht auszuschließen.

Dennoch ist das Ende der "FTD" nicht beispielhaft für die derzeitige Zeitungskrise, die sich dadurch auszeichnet, dass immer mehr Leser und Anzeigenkunden sich ins Internet verabschieden. Das Wirtschaftsblatt hätte es ohne das Netz aber gar nicht gegeben: Als zur Jahrtausendwende die New Economy auf ihrem Höhepunkt war, gab es fast jeden Tag einen Börsengang, der entsprechend beworben wurde. Selbst einfache Sparbuch-Besitzer interessierten sich nun für Anleger-Themen. Von diesem Hype wollte auch Gruner + Jahr profitieren. Vor allem deshalb wurde die "FTD" gegründet.

Nur wenig später war die Dotcom-Blase geplatzt. Gruner + Jahr hielt dennoch an der "FTD" fest. Um sie zu retten, fasste der Verlag 2008 alle Redaktionen seiner Wirtschaftstitel in der 250 Köpfe zählenden Gemeinschaftsredaktion der G+J-Wirtschaftsmedien zusammen. Geholfen hat es nicht. "Die ,FTD' ist eine Zeitung, die man sich nur leisten kann, wenn man sie sich leisten will", sagt eine G+J-Führungskraft. Und mit Blick auf andere Problemkinder des Hauses fügt sie hinzu: "Gruner + Jahr kann und will das nun nicht mehr."