Trauer um den Schöpfer von „Ekel Alfred”: Wolfgang Menge, der einst auch Abendblatt-Reporter war, starb in Berlin im Alter von 88 Jahren.

Berlin. Es gibt nicht viele, über die man sagen kann, dass sie das deutsche Fernsehen erfunden haben. Wolfgang Menge war einer von ihnen. Und dass seine große Fernsehzeit schon lange vorbei war, ist nie sein Problem gewesen, sondern das des Fernsehprogramms, also vor allem das Problem von uns Zuschauern. Denn manchmal stimmt er einfach, der Satz, den Menge zum Nörgel-Mantra seiner genialen Schöpfung, dem "Ekel Alfred", gemacht hat: "Früher war alles besser." Jedenfalls sah es auf der Mattscheibe so aus.

Und das lag an Fernsehmachern wie dem in 1924 Berlin geborenen und in Hamburg aufgewachsenen Wolfgang Menge. Der Sohn eines Studienrats und einer in Rumänien geborenen jüdischen Mutter wurde 1949 Reporter beim Abendblatt, für das er bis 1951 arbeitete. Später berichtete er aus Fernost. Doch nach seiner Rückkehr nach Deutschland begann Menge Mitte der 60er-Jahre Drehbücher zu schreiben.

Das ist jetzt glatt die Hälfte von Wolfgang Menges Leben her, das gestern in seinem 89. Jahr zu Ende gegangen ist. Und es gibt kaum einen Lebensbogen, der Aufstieg und Niedergang eines Mediums so weit überspannt, wie man das für Wolfgang Menge und das deutsche Fernsehen sagen kann. Einmal Leitmedium und zurück - wer Menge in den letzten Jahren persönlich erlebte, sah ihm das Leiden am Abstieg dieses Kulturgutes, das wir Fernsehen nennen, deutlich an.

Es konnte Menge dabei auch überhaupt nicht trösten, dass sich eine von ihm selbst schon vor Jahrzehnten gemachte Prophezeiung über die Entwicklung des Fernsehens tatsächlich erfüllt. Eine Prophezeiung, die er selbstverständlich als TV-Stoff realisiert hatte. "Millionenspiel" (1970) hieß sein Film, in dem ein TV-Sender als Profiteur niedrigster Instinkte agiert, weil er die "reale" Jagd einer Bande von Kopfgeldjägern auf einen zu diesem Zweck engagierten Gangster vor den Augen eines fiktiven Live-Publikums zeigt.

Menges damals revolutionäres Spiel mit einer realistisch inszenierten Fiktion war erfolgreicher, als es den Machern lieb sein konnte. Nach der Sendung meldeten sich Dutzende Freiwillige, die tatsächlich live um ihr Leben rennen wollten, um eine Million Mark zu verdienen. Die als Horrorvision künftiger Fernsehunterhaltung gedachte Fiktion war damals bereits viel näher an der gefühlten Realität mancher Zuschauer, als man es sich hätte vorstellen können. Ein treffsicherer Zugriff im Vorgriff.

Ähnliches könnte man über Menges vielleicht folgenreichste TV-Leistung sagen: Seine Konzeption und Moderation der TV-Talkshow "Drei nach Neun" (1974), Mutter aller deutschen Talkshows. Die Mischung aus präziser Nonchalance und selbstironischer Fahrigkeit, die seine Moderation kennzeichnete, stand an der Wiege dieses Formats ebenso passend, wie sie die Trivialisierung vorausahnen ließ, in der sich heute diese Sendeform verliert.

Menges immer wieder originell variiertes Konzept, aus der Vorwegnahme künftiger Entwicklungen fiktiven, aber immer auch journalistischen TV-Stoff zu destillieren, beeindruckte beispielhaft bei seinem Fernsehspiel "Smog", einer WDR-Produktion (1973), in der die Folgen einer Umweltkatastrophe lange vor der Ökobewegung thematisiert wurden. Sie war ebenfalls eine sich selbst erfüllende Prophezeiung, jedenfalls was die Entlarvung der politischen Verhältnisse jener Zeit anging, und das in mehrerlei Hinsicht und sogar schon vor der Ausstrahlung.

Der Essener SPD-Oberbürgermeister revoltierte damals regelrecht und agitierte mit prominenten Landespolitikern gegen den "reißerisch aufgemachten Science-Fiction-Film". Der Hauptgeschäftsführer der Essener Industrie- und Handelskammer polemisierte gegen den "abenteuerlichen Missgriff". CDU-Landtagsabgeordnete forderten in einer Anfrage an die Landesregierung Maßnahmen gegen den "schweren Rückschlag" für die "Attraktivierung des Ruhrreviers". Das alles wohlgemerkt vor dem Sendetermin.

Seinen unbestechlichen Röntgenblick in Herz und Seele seiner Zeitgenossen bewies Menge aber bei keinem Projekt so vollendet wie bei der TV-Serie "Ein Herz und eine Seele" (1973). Die Hauptfigur seines "Ekel Alfred" wurde zur sprichwörtlichen und zeitlosen Metapher für den kleindeutschen Spießer, der rechtsreaktionär und bigott seine Familie so terrorisiert, wie er es mit der ganzen Welt tun würde, wenn man ihn denn ließe.

Wer diese Figur einmal im Fernsehen gesehen hat, wird sie nicht mehr los. Sie ist ein über die Jahrzehnte hinweg gültiger, mit allen Intarsien des sarkastisch durchgezeichneten deutschen Volkscharakters versehener Archetyp. Der Zeithintergrund - das Aufeinanderprallen rückwärtsgewandter Nachkriegsmentalität eines gescheiterten Kleinbürgers und seiner Nachkommen, die den Ideen der protestbewegten 68er-Generation anhängen - war enorm treffsicher verarbeitet.

Der Erfolg der Serie lag dabei weniger im unmittelbaren Zuspruch der Zuschauer bei der Erstausstrahlung. Eine regelrechte Fangemeinde entwickelte sich erst Jahre später und nach einer Reihe von Wiederholungen. Aber Menges Alfred Tetzlaff fand als Synonym für kleinbürgerlich-reaktionäres Gebaren und Gerede unmittelbar Eingang in die Alltagssprache, wurde also sprichwörtlich. So verglich zum Beispiel der damalige Postminister Horst Ehmke im Februar 1974 in einer Bundestagsdebatte den CDU-Politiker Alfred Dregger mit Menges TV-Charakter.

Eine Neuauflage dieser Idee mit der Serienfigur des Westberliner Frührentners "Friedhelm Motzki" (1993), die deutsch-deutsche Befindlichkeiten nach der Wiedervereinigung verarbeitete, geriet ebenfalls unmittelbar zum Politikum und polarisierte das TV-Publikum nicht weniger als "Ekel Alfred". Viele Zuschauer forderten wegen der Ausfälle des Protagonisten gegen die "Ossis" die Absetzung der Serie, andere wiederum schätzten das offene Wort der Figur "Motzki" in Stellvertretung eigener unterdrückter Regungen.

In den letzten Jahren aber verstummte Wolfgang Menge regelrecht. Es war, als ob der frühere Erfolg seiner hyperrealistischen TV-Fiktionen mit allen ihren dunklen Vorahnungen ihn regelrecht eingeholt, überholt hätten. Aber was hätte einer machen sollen, dessen weit in die Medienzukunft zielenden Visionen schon zu seinen Lebzeiten zur Realität werden?

Wolfgang Menge hat uns die TV-Mattscheibe als Spiegel der Verhältnisse vorgehalten. Er wird fehlen.