Zeitversetzte TV-Übertragungen von den Spielen in London verärgern in Deutschland und den USA die Zuschauer. Nur online gibt es alles live.

Hamburg. Ohne die Olympischen Spiele würde vermutlich kaum jemand außerhalb Großbritanniens Guy Adams kennen. Der Journalist ist nämlich Los-Angeles-Korrespondent der britischen Tageszeitung "The Independent". Und dass Adams nun - zumindest im Internet - eine kleine Berühmtheit ist, liegt daran, dass er sich über die Olympia-Berichterstattung des US-Senders NBC beschwert hat.

Genau genommen wurde der Korrespondent bekannt, weil er als Forum für seine Kritik nicht seine Zeitung oder seinen Freundeskreis wählte, sondern den Online-Kurznachrichtendienst Twitter. Das gab richtig Ärger. Denn NBC und Twitter sind Kooperationspartner. Doch bevor wir auf die Weiterungen dieser Auseinandersetzung eingehen, wollen wir uns mit dem Inhalt von Adams Kritik befassen.

Der Journalist kritisierte NBC, weil der Sender die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele nicht live, sondern nur zeitversetzt gezeigt hatte. Damit reihte er sich in die Schar der US-Kritiker ein, die die Übertragungsgepflogenheiten des Senders während der Spiele monieren. So hatte NBC beispielsweise das 400-Meter-Lagen-Rennen, das vom US-Schwimmer Ryan Lochte gewonnen wurde, erst mit deutlicher Zeitverzögerung ausgestrahlt. Zu diesem Zeitpunkt wussten schon viele Amerikaner aus dem Internet, dass ihr Landsmann gewonnen hatte.

Die Diskussion ähnelt einer Debatte, die auch in Deutschland geführt wird. Denn auch auf ARD und ZDF sind viele der Entscheidungen in London nur zeitversetzt zu sehen - wobei es sich hier nur um mehrere Minuten und nicht wie bei NBC um Stunden handelt. Als etwa am Dienstag der Judoka Ole Bischof im Mittelgewicht die Silbermedaille gewann, war sein Finalkampf in der ARD erst mit Verspätung zu sehen.

Zeitversetzte Übertragungen von den Olympischen Spielen sind bei ARD und ZDF eine altbekannte Praxis. Die Sender rechtfertigen sich damit, dass während der Spiele mehrere Wettbewerbe parallel laufen, die nicht alle zeitgleich übertragen werden könnten. Zudem benötigten sie auch Sendezeit für ihre Zusammenfassungen und Studiorunden. Dass es auch anders geht, zeigt der Sender Eurosport, der ausschließlich live von den Spielen berichtet. Doch er wird von ARD und ZDF nicht unbedingt als Wettbewerber wahrgenommen: "Als ich Eurosport zuletzt eingeschaltet hatte, wurde da nur Gewichtheben gezeigt", sagt ein ZDF-Sprecher.

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Recht unterschiedlich informieren beide Kanäle über zeitversetzte Übertragungen. Während die ARD ihre Zuschauer im Unklaren darüber lässt, ob das, was da gerade zu sehen ist, live aus London kommt oder eine Konserve ist, legt man beim ZDF Wert darauf, Aufzeichnungen auch als solche anzukündigen. Auf die früher übliche Einblendung "live" verzichten beide Sender. Sie ist nur noch beim Dauer-Live-Kanal Eurosport zu sehen.

Immerhin gibt es sowohl zum TV-Bild von ARD und ZDF als auch zu Eurosport eine Alternative: Beide öffentlich-rechtlichen Sender zeigen im stationären Internet und auf mobilen Geräten wie Smartphones und Tablet-PCs auf sechs Live-Kanälen, sogenannten Livestreams, Wettkämpfe von sechs parallel stattfindenden Disziplinen. Das Angebot erfreut sich größter Beliebtheit. Allein die Livestreams der ARD wurden am Sonntag 1,8 Millionen Mal aufgerufen. Beim ZDF gingen ob des großen Ansturms am Montag gar kurzzeitig die Server in die Knie. Damit hatte zuvor kaum einer gerechnet. Die Grundüberzeugung der Branche, dass Live-Übertragungen die Stärke des Mediums Fernsehen seien, ist damit zumindest für die Zeit der Olympischen Spiele widerlegt.

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Auch in den USA ist Online dem Fernsehen einen Schritt voraus. NBC verfügt gar über bis zu 40 Livestreams. Und dennoch ist die Kritik an den versetzten Übertragungen des Senders groß. Wegen der online im Vergleich zum TV-Bild immer noch zahlreichen Bildaussetzer seien Livestreams nicht mit dem herkömmlichen Fernsehen vergleichbar, findet beispielsweise die "New York Times".

Dem NBC-Kritiker Adams vom britischen "Independent" wurde übrigens der Twitter-Account gesperrt, nachdem er die Leser seiner Botschaften aufgefordert hatte, sich bei dem für die versetzten Olympia-Übertragungen verantwortlichen NBC-Manager zu beschweren. Nach weltweiten Protesten - dem Kurznachrichtendienst wurde vorgeworfen, Zensur auszuüben - entschuldigte sich Twitter bei Adams. Sein Account wurde wieder entsperrt.