Eine Arte-Dokumentation geht Donnerstag der Frage nach, wie man “Das Böse“ im Menschen erkennt und versucht zu erklären, wie Psychopathen ticken.

Berlin. "Das Böse", sagt der Philosoph Rüdiger Safranski, "ist kein Begriff, sondern ein Name für das Bedrohliche, das einem freien Bewusstsein begegnen und von ihm getan werden kann. (...) Das Böse gehört nicht zu den Themen, denen man mit einer These oder einer Problemlösung beikommen könnte."

Grimme-Preisträgerin Karin Jurschick ("Die Helfer und die Frauen") hat es trotzdem versucht. Sie hat einen Film über "Das Böse" gemacht. Dahinter stand das Verlangen herauszufinden, "Warum Menschen Menschen töten", so der Untertitel ihrer Dokumentation. Wie Menschen beschaffen sind, die allein auf ihren Vorteil bedacht sind und ohne jedes Anzeichen von Mitgefühl und Reue andere Menschen quälen, vergewaltigen oder umbringen, obwohl sie äußerlich normal wirken können, wenn sie uns hinter einer Maske aus Freundlichkeit und Vernunft gegenübersitzen.

Psychopathen sind ja keine Erfindung sensationslüsterner Filmemacher in Hollywood. Psychopathen leben unter uns. Männer wie Marc Dutroux, Josef Fritzl, Anders Behring Breivik. Aber woran kann man sie erkennen? Kann man sie überhaupt erkennen? Um das herauszufinden, legen Neurowissenschaftler psychopathische Sexualverbrecher in Kernspintomografen und vergleichen ihre Hirnscans mit denen normaler Probanden. Liegt der Schlüssel zur mitleidslosen Welt der Psychopathen in einem Defekt im limbischen System? Die Neurowissenschaftler glauben, mit ihrer Forschung auf dem richtigen Weg zu sein, irgendwann die hypergefährlichen Kandidaten aus der Bevölkerung herausfiltern zu können.

Aber warum fehlt einem Psychopathen jede Möglichkeit zur Empathie? Kann sich der Mensch entscheiden, gut oder böse zu sein? Der Bremer Verhaltensphysiologe Gerhard Roth glaubt nicht an eine genetische Determinierung. Psychopathen, sagt er, würden in der Kindheit konditioniert. "Sie können nichts dafür. Schuld in dem Sinne gibt es nicht." Ist das die Carte blanche für alle Sadisten und Massenmörder? Tatsächlich hat das FBI in den 1970er-Jahren 36 Serienkiller befragt und dabei herausgefunden, dass die meisten in ihrer Kindheit psychisch oder physisch missbraucht worden waren. Die traumatischen Erlebnisse hätten zu einer extremen Aggression geführt, die gepaart gewesen sei mit einer anomalen Kälte und Distanziertheit den Opfern gegenüber.

Das scheint auch das Erklärungsmuster zu sein, dem Jurschick folgt. Dazu passt der Vergewaltiger, der erklärt, als Kind vom Vater mit dem Gürtel geprügelt worden zu sein. Dazu passen die Kindersoldaten im Kongo, die im Blutrausch verroht sind und die - wie der Neuropsychologe Thomas Elbert behauptet - "die Lust an der Gewalt" ihr Leben lang in sich tragen werden und jederzeit wieder in den "Killer-Modus" kommen können.

Die Antwort darauf, warum nicht jeder Junge, der missbraucht oder geprügelt wurde, zum Vergewaltiger wird, bleibt Jurschick dem Zuschauer schuldig. Besser gesagt: Sie lässt die unbequeme Frage gar nicht erst aufkommen. Nicht mal am Beispiel des Hamburger Reserve-Polizeibataillons 101, das im Sommer 1942 an Massenerschießungen in Polen beteiligt war. Diese Frage passte offenbar nicht ins Konzept. Jurschick reicht schon die Feststellung, dass 95 Prozent aller Gewalttäter Männer sind.

Nun mag es ja sein, dass Gewalthemmung nur eine lockere zivilisatorische Tünche ist, aber dass Gerhard Roth nach der Voraufführung des Films in Berlin unwidersprochen von der "Tötungslust der kleinen Jungs" sprechen durfte, musste man den Beteiligten - in diesem Fall dem Sender Arte und der Wissens-Redaktion der "Zeit" - doch übel nehmen.

Rüdiger Safranski, der 1997 ein viel diskutiertes Buch über "Das Böse oder Das Drama der Freiheit" vorgelegt hat, hält nicht viel von deterministischen Erklärungen. Er sagt, das Böse sei gewissermaßen der Preis der Freiheit. Es begegne dem Menschen im eigenen Selbst, "im schwarzen Loch der Existenz". "Man neigt dazu, die Freiheit mit dem Guten zu verknüpfen und das Böse mit irgendeinem Zwang. Oder man erklärt es als etwas Pathologisches, Krankhaftes. Aber was man begreifen muss, ist, dass das Böse leider auch zum Menschen gehört, als übler Gebrauch seiner Freiheit."

Es scheint fast so, als ginge es beim Thema des Bösen um einen Glaubenskrieg.

"Das Böse. Warum Menschen Menschen töten" Donnerstag, 5. Juli, 21.40 Uhr, Arte