Die heitere Tragikomödie “Luks Glück“ der Hamburger Regisseurin Ayse Polat startet nach langen Verzögerungen endlich Donnerstag im Kino.

Er solle auf der Stelle den Wagen anhalten, sofort, brüllt Luk den Fahrer an und hüpft auf seinem Sitz wie ein wild gewordenes Äffchen. Die Bremsen quietschen, Luk schmeißt sich kopfüber ins Rapsfeld neben der Fahrbahn und führt anschließend einen Tanz auf, wie ihn für gewöhnlich nur sehr betrunkene Menschen beherrschen. Aber Luk ist weder besoffen noch verrückt geworden, er hat gerade erfahren, dass er im Lotto gewonnen hat. Ein Gefühl wie ein Traum, an den man keine Sekunde glaubt. Die Frage, wo man zuschlagen würde, wenn das Geld hagelsturmartig aufs Konto prasselt, haben sich wohl alle Menschen schon gestellt - auch solche, die niemals Lotto gespielt haben.

Die Hamburger Regisseurin Ayse Polat denkt in ihrem neuen Film, der Donnerstag im Kino startet, konsequent zu Ende, wie das unerwartete Geldgeschenk das Leben verändert. "Luks Glück" ist der Titel - und man verrät nicht zu viel, wenn man sagt: Luks Glück, das sind nicht die sechs Lotto-Richtigen. Die von René Vaziri gespielte Hauptfigur ist ein klassischer Verpeiler in seinen Mittzwanzigern, der das Nichtstun zur Lebensart erhoben hat. Fern erinnert er an die Nerdfraktion, die Judd Apatow in seinen US-Erfolgskomödien mit Vorliebe zeigt. Bierpulle neben dem Bett, schöne Frauen als Wanddekoration, kein Wecker, der klingelt, weil es keinen Chef gibt, der das Zuspätkommen vom Lohn abzieht. Ein Hängemattenleben. Wäre Luk ein Gymnasiast mit Antriebsdurchhänger, man würde ihm durchs Haar wuscheln. Aber Luk ist 27 Jahre alt und hat, als der Film beginnt, keinen Plan, kein Ziel, keine Sorgen außer der, ein ziemlicher Waschlappen zu sein.

Sechs Jahre Kinopause hat Ayse Polat eingelegt zwischen ihrem Überraschungserfolg "En Garde", einem Drama um zwei Ausreißermädchen mit der kürzlich verstorbenen Maria Kwiatkowsky in der Hauptrolle, und dem neuen Film. In dieser Zeit ist sie von Hamburg nach Berlin gezogen, hat am Theater gearbeitet und vor allem an Luks Geschichte. Die Sorgfalt merkt man dem Film in jeder Szene an; er findet Worte, einen Ton, einen Slang, um die das deutsche Kino seit Jahren (oft vergeblich) ringt. "Luks Glück" kommt leicht und heiter daher, feinstes Sommerkino also, und erzählt zugleich mit ernsthafter Haltung die Schicksale seiner Figuren. "Ein Drama mit komischen Momenten", nennt es Polat, die klein, drahtig und trotz wenig Schlafs aufgekratzt in einem Hamburger Café über einem Sojamilchgetränk hockt.

Ein sehr komischer Moment im ersten Filmdrittel geht so: Der Lotteriebeauftragte mit Krawattenknoten und Räusperstimme rückt zu Luks türkischer Familie an, die eben auch eine Tippgemeinschaft ist und nun den Gewinn gerecht teilen muss, um die Regeln zu verlesen wie ein Aufsichtslehrer das Klassenbuch.

Erzählen Sie niemandem von ihrem Gewinn, heißt eine Regel - und während er sich Punkt um Punkt vorarbeitet, wird er von allen Seiten mit süßen Klebrigkeiten und Nüsschen vollgestopft. Vater, Mutter, Söhne, Schwiegertochter und Enkel bekommen sich noch vor der Auszahlung mächtig in die Wolle. "Ich hab auch Pläne", ruft Luk in die stickige Wohnzimmerluft, der Plan nicht mal buchstabieren kann, aber keine Lust hat, ein Rädchen im Traum seiner Eltern zu sein. Die möchten das Geld in eine Hotelanlage im idyllischen Bergland von Kappadokien stecken, wo die Temperaturen im Hochsommer locker über 40 Grad klettern.

Luk dagegen will das Musikvideo von Gül produzieren, der jungen Frau mit der Samthaut und der tollen Stimme, die zwar nicht backen kann, aber dem früheren Klassenkameraden eine Tupperdose mit Selbstgebackenem überreicht wie einen kleinen Schatz. Damit ist es um Luk geschehen, verständlicherweise, da Aylin Tezel, die neue "Tatort"-Kommissarin im Ruhrpott wird, als Gül einen erstaunlichen Zauber entwickelt. Dass sie bislang nur auf Hochzeiten im Familienkreis aufgetreten ist, kümmert Luk nicht im Geringsten; er ist verliebt und hat sich in den Kopf gesetzt, die talentierte junge Frau glücklich zu machen. Auch das Ausbuchstabieren der Liebesgeschichte zwischen der hellsichtigen Optimistin Gül und dem Mann, für den das Leben immer ein paar Nummern zu groß scheint, gerät Ayse Polat nicht aus dem Takt. So kann das aussehen, wenn jemand ganz auf seine Figuren und seine Geschichte vertraut.

Sechs Wochen drehte die Regisseurin mit ihrem Team in Hamburg, zwei Wochen in der Türkei, wo der Familientraum vom eigenen Hotel Wirklichkeit werden soll und unter Beigabe von ordentlich Wodka, Lügen und Affären schließlich sein Ende nimmt. Dass der Film erst jetzt in die Kinos kommt, obwohl er bereits 2009 gedreht wurde, hängt mit einer unglücklichen Verkettung zusammen: Koproduzent, Verleih und die Postproduktionsfirma meldeten nacheinander Insolvenz an, "heute kann ich darüber lachen, aber zum damaligen Zeitpunkt war es eine Katastrophe", sagt Polat.

Als "Hamburgerin mit kurdischen Wurzeln, in Berlin lebend" bezeichnet sich die 41 Jahre alte Regisseurin, wenn sie mal wieder zu Migrationshintergrund, Heimat und Herkunft befragt wird. Auch ihr aktuelles Projekt erzählt ein Drama, angesiedelt zwischen Hamburg und der Türkei. Sie erzählt von Familien, Freundschaften und deutsch-türkischen Klischees, wie es der Kinozuschauer von Publikumsliebling und Emotionsweltmeister Fatih Akin kennt.

Der Schweizer Hauptdarsteller René Vaziri, der zeitweise in Hamburg gelebt hat, findet für seine Figur die perfekte Balance aus Unbeholfenheit und Unternehmungsdrang. Luk kann in einem Moment weinend, nur in Boxershorts bekleidet, in der Notaufnahme sitzen, kurz darauf mit Verve ein Musikvideo inszenieren, an das niemand außer ihm glaubt: ein Produzent, der "in Medien" macht, Tänzerinnen, die Yoga für Anfänger beherrschen und ein bisschen Nahkampf-Slapstick, ein Kameramann, der nicht mal ein Urlaubsvideo aufnehmen könnte. Und mittendrin Gül und all das schöne Geld (zumindest in imaginären Schecksummen), von dem Luks Eltern glauben, es schlummere selig auf dem Konto und warte auf seinen Einsatz beim Hotelkauf.

Es macht den Charme des Films aus, dass die Figuren sich von Träumen und Gesten verabschieden, die ein bis zwei Schuhnummern zu groß für sie sind. Ayse Polat zeigt die Lebensläufe von Eltern und Kindern samt ihren jeweiligen Ernüchterungen mit einer Zwangsläufigkeit, die dem Kino zu eigen ist - aber eben nicht mit jenen Bleigewichten versehen, die man hierzulande so gerne für Kino hält.

Manchmal ist es ganz erholsam, wenn auf der Leinwand jemand einfach seine Geschichte erzählt, ohne großes Theater, ohne Tamtam. Einfach nur eine Geschichte, nur aus der Lust heraus, mal zu sehen, wie das so ist mit dem Glück und den Träumen, wenn man sechs Richtige auf dem Lottoschein hat.