Im historischen TV-Drama “Die Verführerin Adele Spitzeder“ ist Birgit Minichmayr als unverfrorene Geschäftsfrau die ideale Besetzung.

Sie mag Champagner und üppige Hotelbetten, die große Bühne und Applaus. Am liebsten aber mag sie Geld. Kein Wunder also, dass aus Adele Spitzeder ein "Bankfräulein" wurde. Eine "Finanzjongleurin". Eine gerissene Geschäftsfrau, die in den 1870er-Jahren den Menschen das Geld aus der Tasche lockte mit einem unwiderstehlichen Versprechen: zehn Prozent Zinsen, bar auf die Hand.

Wenn man so will, ist "Die Verführerin Adele Spitzeder" von Xaver Schwarzenberger (Regie) und Ariela Bogenberger (Buch) eine Parabel auf die Finanzkrise unserer Zeit, auf Bankenzusammenbrüche und den Ruin geprellter Anleger. Ein Vorspiel zur Madoff-Affäre. Die Frage hinter alldem ist: Was treibt Menschen dazu, anderen blind zu vertrauen? Und wie ticken Menschen, die dieses Vertrauen zu ihren Gunsten ausnutzen?

Adele Spitzeder unterstreicht mit weißem Unschuldskragen auf Samtrobe, bleistiftdünn gezupften Augenbrauen und Prinz-Eisenherz-Frisur ihre Tugendhaftigkeit, sie pflegt ihre Allüren und ihr bohemehaftes Getue auch dann, als sie von trockenen Brotkanten lebt. Doch das Glück ist mit den Tüchtigen, davon ist die Frau überzeugt. Oder anders gesagt: Wer zuletzt lacht, lacht am längsten. Adele besitzt die nötige Chuzpe, die Unverfrorenheit, die es braucht, sich durchzusetzen in einer Männerdomäne. Gerade zu damaliger Zeit.

Wohl niemand könnte sie besser spielen als Schauspielderwisch Birgit Minichmayr, dem Salzburger Festivalpublikum als Buhlschaft im "Jedermann" bekannt und nach aufsehenerregendem Wechsel von der Wiener Burg nun am Residenztheater in München beheimatet. Zwischen Diva und Früchtchen hat Minichmayr die Verführerin Adele angelegt. Mit einer Stimme, als habe sie einen doppelten Whisky gefrühstückt, röhrt sie durch die Münchner Gassen. Ihre Erotik ist von der deftigen Sorte, ihr Schmäh im urbayerischen Wirtshaus tonangebend.

Gleichzeitig ist die Verletzlichkeit, die Feinnervigkeit unter der Porzellanhaut stets spürbar. Mit Robin-Hood-haftem Gestus verteilt Adele Almosen unter den Armen, spendiert eine Runde Schweinsbraten mit Soße und nimmt ein Dienstmädchen, eine großäugige Unschuld, unter ihre Fittiche.

Lange bevor Adele Spitzeder das Scheinchensammeln zum Beruf gemacht hat, träumt sie von einer Karriere am Theater. Bis sie sich eingestehen muss: Sie wird nicht jünger. Längst spielt sie in Schillers Drama nicht mehr Luise Miller, sondern Lady Milford.

"Spitzeder war eine hochgebildete Frau, die, wie ich glaube, zeit ihres Lebens daran gelitten hat, keine Künstlerin geworden zu sein", so Hauptdarstellerin Minichmayr. "Mich hat daran interessiert, die Unbedarftheit und das Unrechtsbewusstsein zu zeigen, das diese Lady auch an den Tag gelegt hat."

Schwarzenbergers Film ist hochkarätig besetzt, allen voran Marianne Sägebrecht als resolute Wirtin und Sunnyi Melles als Adeles exzentrische Mutter ("Ich muss mich jung und schön erhalten, das kostet"). Ganz hektische Flecken bekommt sie im Gesicht, die Zigarettenspitze vibriert zwischen den manikürten Fingern, wenn es um die Zukunft der Tochter geht, die sie gut verheiratet wissen will. Aber Adele zieht es zu einem samtäugigen, erfolglosen Poeten - ein Hallodri, dem eine Frau zu wenig ist für ein ganzes Leben.

Ungewohnt sinnlich ist "Die Verführerin Adele Spitzeder" für ein ARD-Fernsehspiel geraten, was gleichermaßen an der Präsenz und dem verschwenderischen Körpereinsatz Minichmayrs liegt, an der barock-prunkvollen Ausstattung und den genau drapierten Einstellungen, die Schwarzenberger nach Möglichkeit immer nur einmal drehen lässt.

Der Film endet mit der Verhaftung Spitzeders, nachdem sich Gläubiger, Pfandleiher und Konkurrenten - insgesamt um acht Millionen Gulden geprellt - gegen sie verbünden. Drei Jahre Zuchthaus warten auf die Frau mit der Stehaufmännchenmentalität, die ihr mit nichts auszutreiben ist. Als Adele Spitzeder wieder auf freiem Fuß ist, sprüht sie vor Tatendrang: Sie will jetzt eine Bank gründen.

"Die Verführerin Adele Spitzeder" heute, 20.15 Uhr ARD