Schüler machen Zeitung
Hamburger Tafel

„Helfen ist eine Faszination“

| Lesedauer: 5 Minuten
Lena-Marie Kayser, Klasse 9d, Gymnasium Meiendorf
Mehr als  100 Helfer vom Verein Hamburger Tafel beliefern täglich 86 Einrichtungen der Stadt mit Lebensmitteln - rund 80 Tonnen im Monat

Mehr als 100 Helfer vom Verein Hamburger Tafel beliefern täglich 86 Einrichtungen der Stadt mit Lebensmitteln - rund 80 Tonnen im Monat

Foto: Rauhe

Die Hamburgerin Annemarie Dose gründete die Hamburger Tafel. Lena-Marie Kayser schreibt über ihre besondere Nachbarin.

Hamburg.  Ich habe eine ganz besondere Nachbarin. Ihr Name ist Annemarie Dose, auch Ami Dose genannt. Sie gründete die Hamburger Tafel für Bedürftige. Für mich ist sie eine sehr starke Frau und ein tolles Vorbild.

Die Hamburger Tafel ist ein privater Verein, bestehend aus mehr als 100 ehrenamtlichen Mitarbeitern, die viel Gutes tun. Sie sorgen dafür, dass Hilfsbedürftige kostenlose Mahlzeiten erhalten. Die nötige Lebensmittel werden ihnen von unterschiedlichen Firmen gespendet, und die Helfer verteilen sie dann über ganz Hamburg weiter. Es sind hauptsächlich Reste aus Überproduktionen, welche die Hersteller sonst vernichten müssten. Mit Fahrzeugen beliefern die Ehrenamtlichen soziale Einrichtungen, darunter Suppenküchen und Übernachtungsstätten für Obdachlose, aber auch Einrichtungen für Drogenabhängige und noch viele weitere.

Wie entsteht so eine Hilfsorganisation?

Im Alter von 66 Jahren, im Jahr 1994, sah Ami Dose im Fernsehen einen Bericht über die Initiative Berliner Tafel. Der Bericht begeisterte sie. Oder besser gesagt: die Initiative. Annemarie Dose recherchierte die Adresse des Senders und fuhr schnurstracks nach Berlin, um sich ein eigenes Bild vor Ort zu machen. Als sie sich umgesehen hatte, war sie überzeugt, ein Projekt wie dieses auch in Hamburg möglich machen zu können.

Einige Zeit später stand sie beim Bäcker und beobachtete, wie abends die Brotüberproduktionen zur Vernichtung abtransportiert wurden. Da fragte sie nach: „Kann ich die Brote haben?“ Tatsächlich erhielt sie Brote und brachte sie zur Heilsarmee, die einzige Einrichtung für Hilfsbedürftige, die ihr in diesem Moment einfiel. Die Menschen dort waren sehr erfreut und antworteten auf die Frage, was sie sonst noch benötigten: „Eigentlich alles!“ Das war der Startschuss: Ami fuhr zu Firmen und Unternehmen und bat um Spenden. Niemand sagte Nein. Mit all den Lebensmitteln und anderen Dingen, die sie sammelte, fuhr Annemarie Dose zu den Schlafplätzen der Obdachlosen und verteilte die Waren. Doch ein Projekt wie die Hamburger Tafel lässt sich nicht allein auf die Beine stellen.

Durch das Straßenmagazin „Hinz&Kunzt“ wurden die Medien der Stadt auf sie aufmerksam. „Und dann ging die Post ab“, sagt Ami und lächelt, „es haben sich so viele Leute bei mir gemeldet.“ Die ganze Sache sei wie ein Fluss gewesen, der fließt. Ami Dose gründete einen Verein und bekam ein Büro, ein kleines Dachzimmer, und einen Bus spendiert.

Der Verein bekam immer mehr Unterstützung und Hilfsangebote. Die Gelben Seiten – das dicke, gelbe Firmenadress- und telefonbuch – seien zu der Zeit „ihre Bibel“ gewesen. Für uns junge Menschen ist das heute schwer vorzustellen. Zu der Zeit konnte man nicht einfach googeln. Ami Dose telefonierte sich durch die Gelben Seiten und fand immer mehr Unterstützer.

Eine Sache wollte Ami Dose bei der neuen Tafel unbedingt anders machen als in Berlin: Dort gab es Ausgabestellen, an denen sich die Menschen in langen Reihen anstellen mussten. Teilweise standen die Hilfsbedürftigen dort in langen Schlangen an. Ami fand das entwürdigend und sagte: „Bei uns machen wir das anders.“ Anfang 2002 wurde eine Stiftung gegründet, um die Existenz der Hamburger Tafel auf Dauer zu sichern und finanzielle Rücklagen zu bilden. Heute hat die Hamburger Tafel Verträge mit vielen großen Supermärkten und Firmen.

In Deutschland gibt es inzwischen fast 1000 Tafeln. Annemarie Dose hat bei der Gründung von einigen geholfen.

Von einem „chaotischen Haufen von Menschen wurde die Tafel zu einer gut organisierten helfenden Hand für viele“, sagt Annemarie Dose. „Ohne die vielen Helfer wäre ein Projekt wie dieses nie möglich gewesen. Wer hilft, weiß: Helfen ist eine Faszination.“

2012 gab Ami den Vorsitz der Hamburger Tafel e.V. nach 18 Jahren ab. Sie feierte Abschied von ihrer aktiven Zeit. Doch sie wird immer Ehrenvorsitzende des Vereins bleiben und in Notsituationen zur Verfügung stehen. Auch zum aktuellen Thema Flüchtlinge habe ich sie befragt: „Sobald die Menschen in Hamburg registriert sind, ist die Tafel für sie zuständig“, sagt sie. Vorher allerdings würden sie vom Staat versorgt. Wenn aber noch etwas Essen an den Ausgabestellen übrig ist, wird es zum Hauptbahnhof gebracht, um den durchreisenden Menschen zu helfen.

Annemarie Dose sagt: „Ohne die Ehrenamtlichen wäre Hamburg verloren.“ Und: „Ein Tropfen auf dem heißen Stein verdampft, aber viele Tropfen zusammen ergeben einen Regen.“