Vor 14 Jahren wurde Julius Baumanns in Kolumbien geboren. In den Frühjahrsferien reiste er mit seiner Familie in das Land im Norden Südamerikas.

Es ist 18 Uhr und schon stockfinster. "So ist das, so nah am Äquator", sagt mein Vater, "es wird ganz schnell dunkel. Als hätte man von einem Moment zum anderen das Licht ausgeknipst." Wir sitzen bei tropischen Temperaturen in dem offenen Restaurant eines Motels am Rande der Fernstraße zur Küste, gut 600 Kilometer nördlich Kolumbiens Hauptstadt Bogotá. Plärrend tönt Vallenato, die typische kolumbianische Musik der Küste, aus einem Radio und vermischt sich mit den aufgeregten Stimmen der Nachrichtenansager. Die grellen Straßenlaternen beleuchten die vorbeirasenden LKW.

Wir reisen in den Frühjahrsferien durch das Land, in dem ich vor 14 Jahren geboren wurde und das mir zu einer zweiten Heimat geworden ist. Mein Vater arbeitete damals als Diplomat an der Deutschen Botschaft in Bogotá.

Vor einer halben Stunde saß ich auf dem Rücksitz unseres Mietwagens und dachte, das sei mein letzter Augenblick. Wir hatten ein Motel angesteuert, weil man uns geraten hatte, nachts nicht auf der Straße unterwegs zu sein. Noch bevor mein Vater den Wagen auf dem spärlich beleuchteten Parkplatz zum Stehen gebracht hatte, baute sich ein düster dreinblickender Mann an meiner Fensterseite auf. Er trug ein rot kariertes Hemd, eine Jeans und braune Cowboy Stiefel.

Er schob seinen Hut hoch und klopfte energisch an das Fahrerfenster. Durch die Dunkelheit konnte ich ein silbern aufblitzendes Gewehr in seinen Händen erkennen. Mein Vater wechselte ein paar schnelle spanische Sätze mit ihm, dann wandte sich der Mann ab.

"Keine Panik. Das Gewehr ist ganz normal, der Mann sorgt nur für Sicherheit", sagt mein Vater. "Bis vor zehn Jahren hätte man so eine Tour mit dem Auto nicht machen können", erklärt er. "Da wären wir schon mehrfach entführt worden", sagt meine Mutter. "Dieser Mann hier will nur auf unser Auto aufpassen." So ganz wollten wir Kinder es nicht glauben und brauchten dann doch einige Jugos (frische Fruchtsäfte) und viel Vallenato unter dem Strohdach des Restaurants, um uns zu beruhigen.

In Kolumbien regierten seit den späten 60er Jahren Guerilla (Kleinkrieg), Paramilitärs und die Drogengewalt zwei Drittel des Landes. Die Menschen waren geprägt von Gewalt und Bürgerkriegen. Als ich geboren wurde, so erzählen meine Eltern, lebten wir in geschlossenen Conjuntos. Das sind bewachten Wohnanlagen. Mein Vater hatte es laufend mit Entführungsfällen zu tun. Die Nachrichten berichteten von schrecklichen Massakern an der Zivilbevölkerung und von Konflikten mit Guerilleros, die Untergrundkämpfer der Armee.

Auf unserer Reise erleben wir ein ganz anderes Land. Kolumbien ist eines der naturreichsten und schönsten Länder der Erde. Von Bogotá durch die Anden bis an die Karibikküste. 30 Kilometer lange menschenleere Sandstrände im Parque Tayrona, versunkene Indianerstädte und die Sierra Nevada, das mit 5.770 Metern höchste Küstengebirge der Welt warten auf uns.

Unterwegs erleben wir karibisches Flair in Cartagena, mit bunt getünchten Häusern, schattigen Innenhöfen und einer gewaltigen Stadtmauer aus dem 17. Jahrhundert.

Das alles hätte ich mir niemals vorstellen können, als mein Bruder und ich vor unserer zweiwöchigen Rundreise noch eine Woche das Colegio Andino, eine kolumbianisch-deutsche Schule in Bogotá besuchten. In dieser Zeit wohnten wir bei Alex und Nilu, die uns an ihrem Leben in dieser verrückten, chaotischen Acht-Millionen-Stadt teilhaben ließen.

Als mein Vater im Jahre 1995 mit meiner Mutter und meiner Schwester nach Kolumbien flog, um einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen, war er 30 Jahre alt. Heute ist er 47 und investiert mit seinem Unternehmen in das Land, um einen Beitrag zur nachhaltigen Verbesserung der sozialen Situation in der Landwirtschaft zu leisten. Mein Vater weiß sehr viel über das Land mit etwa 46,5 Millionen Einwohnern. Kolumbien ist nicht nur das wasserreichste Land der Erde, sondern auch Vize-Weltmeister in der Artenvielfalt. Die Wirtschaft ist ebenso aufstrebend wie die von China, Indien, Russland und Brasilien, da Kolumbien große Mengen an Ressourcen besitzt. Diese positive Entwicklung wurde vor zehn Jahren eingeleitet. Der damalige Präsident Álvaro Uribe Vélez ging mit Hilfe der Amerikaner militärisch gegen die Guerilla und die Drogenkriminalität vor. Auf der anderen Seite förderte seine Regierung und die seines Nachfolgers, des derzeitigen Präsidenten Juan Manuel Santos, die Entwaffnung und Wiedereingliederung von Guerilleros und Paramilitärs in die Gesellschaft.

Wenn ich über Kolumbiens Vergangenheit nachdenke, wirkt der bewaffnete Wachmann auf dem Parkplatz an der Straße nach Cartagena wirklich harmlos. Wir genießen die Küste, das gute Wetter und die Musik und wir spüren, dass meine Familie eine zweite Heimat in einem Land mit einer guten Zukunft hat.