Die Fantastischen Vier bewiesen bei ihrem Konzert in der O2 World einmal mehr, dass sie eine herausragende Live-Band sind.

Hamburg. Wer auch immer sich die Lichtshow der Fantastischen Vier ausgedacht hat, man kann ihn sich ohne Weiteres vorstellen, wie er irre lachend auf einem sturmumtosten Hügel steht, eine Hand gen Himmel gereckt: "Sie dachten, ich sei wahnsinnig, aber ich habe Großes geschaffen!"

Vier riesige Ringe aus LEDs hängen über der Rundbühne, die die Halle dominiert. Dazu strecken sich Arme, die mit allem, was die moderne Lichttechnik hergibt, beladen wurden, in vier Richtungen. Selbst das Rund, auf dem die Fantas 125 Minuten herumturnen, strahlt. Auch den Begriff "Bewegte Bilder" hat der auf der Grenze zwischen Genie und Wahnsinn tanzende Designer wörtlich genommen. Die Ringe sind nicht starr, sie bewegen sich auf und ab, die Bühne wartet mit fahrbaren Podesten auf. Auf diesen tauchen die Vier aus dem Untergrund auf, dazu tönt der Song, der die Marschrichtung vorgibt: "Wie Gladiatoren". Tatsächlich wirken sie wie die antiken Manegenkämpfer. Immer Attacke, Unterhaltung um jeden Preis ist die Devise.

Dermaßen viel Bombast könnte maßlos überladen wirken, aber irgendwer scheint den Wahnsinnigen, der dieses optische Opus komponiert hat, rechtzeitig wieder in den Keller gesperrt zu haben, bevor er die Grenze zur Geschmacklosigkeit endgültig überschreiten konnte.

So ist man beeindruckt. Vom gleißenden Licht, das die akustische Schneise durch die eigene Bandgeschichte untermalt, die Die Fantastischen Vier schlagen. Vom Elan, mit dem die angejahrten - aber keineswegs alt gewordenen - Jungs aus "Benztown" ihrer Spielfreude freien Lauf lassen.

Und vom Sound. Die Befürchtung, dass die Rundumbeschallung zu Echos, akustischem Wabern oder gar einem einzigen Soundbrei führen könnte, blieb unbegründet. Stattdessen grollen die Bässe, die Instrumente klingen klar, darüber die Stimmen von Michi Beck, Thomas D. und Smudo. And.Ypsilon thront, umgeben von Samplern und anderer Elektronik, in der Mitte.

Von den frühen 90er-Jahren bis in die Gegenwart reicht die Liste der Songs. Einiges klingt wie vom Album gewohnt, anderes wird neu verpackt. "Der Picknicker" wird zur Reminiszenz an "Can I Kick It" von A Tribe Called Quest, "Smudo In Zukunft" verbindet sich mit The Prodigy zu etwas Neuem. Die Zeitreise im schnellen Vorlauf wird mit einem Medley, dirigiert von Michi Beck an seinem alten Stammplatz, den Turntables, angetreten: "Böse", "Love Sucks", "Genug ist Genug", das Stück Ausflug in härtere Megavier-Gefilde und "Schmock", Schlag auf Schlag geht es durch die ersten fünf Alben. "Die ollen Stuttgarter Rapper", wie Thomas D. sich und seine Mitstreiter beschreibt, sind gut aufgelegt. "Danke" kommt an und wird erwidert. Man feiert und Platz zum Tanzen gibt es reichlich.

Denn wenn die Vier rufen, kommen nicht mehr alle. Knapp 8000 Menschen sind da, viele davon gönnen sich den Konzertbesuch als Familienausflug. Papa und Mama erzählen Geschichten aus einer fernen Vergangenheit, als Hip-Hop noch strikt englischsprachig war. Als sich niemand vorstellen konnte, dass vier Jungs ohne Gangster-Hintergrund, die auf Deutsch rappen, irgendwen interessieren könnten. Die Kinderschar staunt, für sie gehören die Fantas zur deutschen Musiklandschaft, so lange sie denken können. Und dazwischen? Der Teil des Publikums, der sich nicht nur für die wandelnde Musik-Geschichtsstunde, sondern auch für den Support Marteria begeistern kann, für Songs wie "Marteria Girl" und "Neue Nikes": große Teens und kleine Twens.

Als die Vier zum ersten Mal in Hamburg auftraten, ging das Exmodel Marteria mit den markigen Sprüchen noch zur Schule, und auch jetzt wirkt er neben den grauen Eminenzen des deutschen Hip-Hops wie ein Pennäler.

"Der Weg von der Zinnschmelze über die Markthalle bis hierher war lang." Ein wenig Nostalgie schwingt in Smudos Stimme mit, als er die Hamburger Stationen der Karriere nachzeichnet. Heute ist die Bühne größer als so mancher komplette Klub, den das Quartett vor 20 Jahren bespielte, mehr Leute sind mit Aufbau und Koordination beschäftigt, als seinerzeit vor der Bühne standen.

Doch auch ohne das ganze Brimborium hätte das Konzert funktioniert, denn die Vier sind im besten Sinn des Wortes Rampensäue, sie toben mit einer Ausdauer über die Bühne, die man manchem Newcomer wünschen würde. Das ganze Drumherum sorgt für den gewissen Wow-Effekt, der wohl für mehr Masse auf den Rängen sorgt, die Klasse aber bringen sie selber mit.

Auch wenn sich heute die meisten ein Fanta-Vier-Konzert gar nicht mehr ohne die große Show vorstellen können, man sehnt sich mit Smudo ein klein wenig nach Klub-Gigs, nach mehr Nähe zur Bühne, zu den Künstlern. Doch den Gesetzen des Markts sind auch die Rapper unterworfen. Sie sind eben "Populär", können nicht "Einfach Sein". Und schuld daran sind die Musiker im Endeffekt selbst, das haben sie ja auch eingesehen: "Gebt uns ruhig die Schuld dafür (Den Rest könnt ihr behalten)". Das klingt wie ein fairer Handel.

Also bleibt am Ende, nach über zwei Stunden, bloß eine Frage offen: Wer in dem geschmacklosen Ungetüm zum Konzert der Fantastischen Vier gefahren wurde, das vor der O2 World parkt. Ein zwölf Meter langer, schneeweißer Humvee-Jeep? Aber über Geschmack lässt sich ja bekanntermaßen ebenso vortrefflich wie ergebnisfrei streiten.