Das erste von zwei ausverkauften Heimspiel-Konzerten des Panik-Rockers gestern in Hamburg war laut, lang und sehr beeindruckend.

Hamburg. Man kann es sich ohne Weiteres vorstellen: Udo Lindenberg bei der Planung seiner neuen Show. Die ersten Entwürfe werden vorgelegt, der Meister schaut kritisch zwischen Hutkrempe und Sonnenbrille hindurch auf die Vorschläge. Und fällt mit unverkennbarer Nuschelstimme sein Urteil: "Zu wenig Panik, da geht noch mehr."

Ob es sich tatsächlich so zugetragen hat, weiß man zwar nicht. Das Endergebnis spricht auf jeden Fall dafür. Mehr Zeugs als der unkaputtbare Panik-Rocker schleppt allenfalls noch Rammstein mit sich durch die Gegend. Die "Stark wie Zwei"-Tour vor vier Jahren bot ja schon einiges für Ohr und Auge, auch der Unplugged-Gig auf Kampnagel im Juni 2011 war nicht ohne. Aber die aktuelle Show stellt alles bisher Dagewesene in den Schatten.

Zu Auftakt und Abschluss fliegt Lindenberg über den Köpfen des Publikums durch die seit Wochen ausverkaufte O2 World. Das weckt Erinnerungen an 2008. Doch statt einer Rakete gönnt er sich in diesem Jahr einen Zeppelin. Und 12 000 Fans spenden Applaus, während er um kurz nach 20 Uhr "Odyssee" anstimmt. Kinder werden von ihren Eltern auf die Schultern gehoben. Der Teenager und die gesetzte ältere Dame feiern gemeinsam "ihren Udo", der so viel Schau macht, wie man es von ihm erwartet.

Wie eh und je wirbelt das Mikrofon, Lindenberg stakst über die Bühne und singt, was das Nuschelorgan nur hergibt. Die Liste der Songs ist lang. Eine mehr als zweieinhalb Stunden lange Tour de Force durch die fünf Jahrzehnte überspannende Karriere des Atlantic-Dauergastes. Die "Boogie Woogie Mädchen" gehören genauso dazu wie das zusammen mit Clueso intonierte "Cello", optisch ergänzt durch eine sich kunstvoll verrenkende Artistin. Den "Nazischweinen" widmet er "Sie brauchen keinen Führer", bekennt sich zu den jungen Wilden von "Occupy" und "Anonymous" mit dem wirklich feinen "Straßenfieber" und erinnert an zu früh gestorbene Kollegen mit "Höllenfahrt". Exzesse und Verlockungen des Daseins als Musiker sind auch Lindenberg nicht fremd, doch hat er immer irgendwie die Kurve gekriegt.

Heute genießt er mit Nonchalance und in Maßen, auch wenn das Gift seiner Wahl ein eher merkwürdiges ist: Zu Lindenberg gehören zwingend nicht nur Hut, Sonnenbrille und die Personalunion aus Faktotum, Leibwächter und Freund namens Eddy Kante. Sondern auch ein Getränk, das so unsexy ist wie eine kalte Dusche in der Umkleidekabine der Altherrenmannschaft: Eierlikör. Was genau Lindenberg an dem klebrigen Gesöff findet, wird wohl sein Geheimnis bleiben. Aber über Geschmack lässt sich ja bekanntermaßen streiten. Den arg musicalmäßig anmutenden Auftritt eines Vampirs, der Lindenberg während "Null Rhesus Negativ" anfällt und beißt, hätte man sich jedenfalls sparen können. Auch wenn man so den Rücktransport von der Neben- zurück zur Hauptbühne mit viel Brimborium, Krankentrage und Blaulicht inszenieren konnte.

+++ Udo Lindenberg: "Rocker gehen nicht in Rente" +++

Sonst gibt es an der ganz großen Udo-Show nicht viel zu meckern: Die Fans haben eine Menge Konzert fürs Geld bekommen, Lindenberg hat sich von vielen hübschen Damen auf und vor der Bühne umgarnen lassen und seinen Status als Hamburger Säulenheiliger der Popmusik gefestigt. Er bleibt der kleinste gemeinsame Nenner seiner Wahlheimat, der Künstler, auf den sich alle irgendwie einigen können. Egal, ob sie aus Pösel- oder Bergedorf kommen, das Konzert von der Loge oder dem Oberrang aus verfolgen. Der Panik-Rocker ist für alle da, jeder kann sich irgendwo in seinen Songs wiederfinden.

Durch den Shuttlebus zur S-Bahn schwirren Lied- und Gesprächsfetzen, eigentlich blieb nur ein Frage offen: Was wird sich Udo Lindenberg wohl für seine nächste Show ausdenken? Dass er einfach aufhört, im zweiten (dritten, vierten?) Frühling seiner Karriere, kann man sich nach diesem Abend jedenfalls nicht vorstellen.