Berlin. Für manche Kritiker sind Wilco die derzeit objektiv beste Rockband der Welt. Nun kehren Sänger Jeff Tweedy und seine virtuosen Freunde auf “Cruel Country“ zu den Wurzeln zurück. Auch das klingt brillant.

Country-Musik kann sehr schmalzig und sehr konservativ sein. Wenn hingegen die linksliberale Virtuosen-Band Wilco aus dem kühlen Chicago ein Album mit dem Titel "Cruel Country" veröffentlicht und sich darauf zu ihren Wurzeln bekennt, kommt etwas ganz Anderes, viel Besseres heraus.

Nämlich eine Platte voller Perlen zwischen erdigem Country-Rock, zartem Folk und warmen Songwriter-Balladen. Mit Texten, die keine "Redneck"-Ideologie transportieren, sondern klug und oft auch traurig vom zerrissenen Zustand des eigenen Landes erzählen, das so schön sein könne - aber auch so "stupid and cruel", also dumm und grausam.

Viel Stoff für Best-of-Playlists

Wilco-Frontmann Jeff Tweedy (54) hat gerade erst ein Buch über die Kunst des Songschreibens herausgebracht - und beweist in den 21 (!) Stücken dieses Doppelalbums, warum er ein mehr als geeigneter Autor für das Thema ist. Mindestens ein halbes Dutzend der neuen Lieder dürfte in viele Best-of-Playlists für die seit 20 Jahren konstant aus sechs befreundeten Musikern bestehende Band Eingang finden.

Ganz gewiss gilt dies für die Mittelachse des zwölften Albums der Grammy-Gewinner mit "The Universe", "Many Worlds" und dem hinreißend schönen "Hearts Hard To Find". Aber auch der Titelsong, "Hints", "Country Song Upside-down", "Story To Tell", "Mystery Binds" und "Sad Kind Of Way" sind grandios.

Willkommen in "Wilcountry"

Für das mit fast 80 Minuten dann aber doch etwas zu lange "Cruel Country" kehrten Wilco zur Arbeitsweise bei ihrem - auch stilistisch vergleichbaren - Meisterwerk "Sky Blue Sky" (2007) zurück, mit Quasi-Live-Aufnahmen im Loft-Studio in Chicago. Erneut sind sensationelle Gitarren-Parts von Nels Cline zu hören, und überhaupt musiziert die Band durchweg auf höchstem Niveau. Tweedys melancholischer Gesang, die reduzierten Arrangements, die kristallklare Albumproduktion - alles vom Feinsten.

Tweedy hat nun offenkundig auch keine Probleme mehr damit, dass seine Songs mit einem der traditionellsten US-Musikgenres in zumindest loser Verbindung stehen. Inzwischen "finden wir es aufregend, das zu akzeptieren, und die Musik, die wir machen, Country zu nennen", sagt er. Country im klassischen Sinne (also Country & Western) ist das natürlich trotzdem nicht - sondern eher "Wilcountry".

Jeff Tweedy: "Wie schreibe ich einen Song". Gebundene Ausgabe, 160 Seiten. Originaltitel: "How to write one song", Übersetzung von Philip Bradatsch. Heyne-Verlag 2022. ISBN-10: 3453273850. 19 Euro.

Konzerttermine von Wilco in Deutschland: 14.6. Köln, E-Werk; 16.6. Frankfurt, Alte Oper

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