Berlin. Sänger, Songwriter, Trompeter, Gitarrist, Roman- und Drehbuchautor: Sven Regener ist bei aller norddeutschen Bierruhe ein sehr quirliger Künstler.

Am ersten Tag des zweiten Corona-Jahres ist er 60 geworden - nostalgische Stimmungen und nachlassende Kreativität kennt Sven Regener deswegen aber nicht. Als Trompeter präsentiert der Wahl-Berliner im Trio mit Richard Pappik und Ekki Busch jetzt ein Cool-Jazz-Album (ab 5. März über Vertigo/Universal).

Nach Corona will er wieder mit seiner erfolgreichen Deutschpop-Band Element Of Crime auftreten. Und als Romanautor stellt der "Herr Lehmann"-Erfinder den Fans noch für dieses Jahr Neues in Aussicht. Über all das hat die Deutsche Presse-Agentur mit Regener gesprochen.

Frage: Sie sind vor wenigen Wochen 60 geworden - herzlichen Glückwunsch noch nachträglich, Herr Regener! Wie fühlt man sich im neuen Lebensjahrzehnt, in diesem nun wieder sehr besonderen Jahr 2021 ganz ohne große Feier? Hätten Sie groß gefeiert, und wird das "nach Corona" nachgeholt?

Sven Regener: Nein, ich bin kein Geburtstagsfeierer. Ich hab' schon, seit ich 14 bin, meinen Geburtstag nicht mehr gefeiert. Ich bin in der Hinsicht unmusikalisch. Geburtstage, Jubiläen, auch mein Alter - sagt mir alles nichts.

Frage: Denken Sie an so einem Geburtstag, der ja aufs Rentenalter zuführt, melancholisch zurück an die guten alten Zeiten, als man noch jung war und auf Englisch in kleinen Clubs sang? Oder an die mittleren mit dem großen Erfolg? Oder sind Sie da von norddeutscher Gelassenheit: Was muss, das muss?

Regener: Na ja, wir machen dazu gerade mit Element Of Crime einen Podcast, wo wir die Geschichte der Band aufarbeiten. 17 Folgen sind geplant, eine Folge für jede Platte, die wir bisher rausgebracht haben. Das ist interessant, aber Nostalgiegefühle hab' ich nie. Dieses Gefühl: Ich würde gern wieder 20 sein - hab' ich nie gehabt. Das Vergehen der Zeit ist so eine klare Tatsache, dass ich gar keinen Sinn darin sehe, groß drüber nachzudenken. Das grundsätzliche melancholische Gefühl als Mensch wegen des Wissens um die eigene Sterblichkeit ist natürlich nochmal was anderes.

Frage: Wie erleben Sie grundsätzlich den Lockdown? Also auch persönlich den Verzicht auf Konzerte und Lesungen, aufs Performen und Ausgehen? Oder gehen Sie damit eher lässig um?

Regener: Es ist natürlich schon eine sehr bedrückende Angelegenheit. Viele Leute sterben an der Krankheit, für viele Leute ist das eine ernste Bedrohung. Das geht an keinem so richtig spurlos vorüber. Aber gleichzeitig muss ich sagen: Ich fühle mich relativ privilegiert, habe eine schöne große Wohnung, muss wenig raus.

Und zur Band: Obwohl die meisten Konzerte letztes Jahr ausfielen, geraten wir doch nicht in finanzielle Not. Ich finde es gut, dass Musiker, die das brauchen, auch Hilfen bekommen. Und bin froh, dass wir bisher ohne klarkamen. Klar, Lebensqualität ist was anderes. Aber es nutzt ja nichts, da muss man jetzt durch. Und es ist auch ein Ende absehbar.

Frage: Ihre Lieder mit Element Of Crime handeln oft vom Flanieren in der Großstadt, vom leicht wehmütigen Betrachten der Spezies Mensch, oder auch von witzigen Alltagssituationen. Was macht es mit einem Künstler wie Ihnen, wenn diese Eindrücke und Anregungen nun coronabedingt weitgehend wegfallen?

Regener: Nun bin ich ja schon 60 Jahre alt, wie Sie richtig bemerkt haben, und habe schon viele Eindrücke in meinem Leben gesammelt. Ich habe auch ein gutes Gedächtnis. Und man kann sich manche Sachen auch ausdenken. Kunst ist ja keine Tageszeitung, kein Journal - man bringt nicht nur das, was man heute erlebt hat, dann in einen Song. Aber klar, das Leben ist schöner, wenn man in Restaurants oder Kneipen, wenn man auf Konzerte, ins Theater oder ins Kino gehen kann. Das ist natürlich alles ziemlich doof jetzt. Aber flanieren kann man trotzdem, und das tun ja auch alle!

Frage: Nun aber zur neuen Platte: Ein Jazz-Album! Die Hörer müssen nicht auf Ihre Trompete verzichten, aber auf Ihre nobel-knarzige Stimme. Welche Reaktionen erwarten Sie? Und was wollen Sie den Menschen damit geben - den Jazz-Fans und den Element-Of-Crime-Fans?

Regener: Es ist eben keine Element-Of-Crime-Platte, deshalb brauche ich da auch nicht zu singen. Das wäre ja sonst Etikettenschwindel. Ich finde, es ist schöne Musik, und wenn man's mag, dann mag man's, und wenn nicht, braucht man es nicht zu hören. Ich fand nie, dass es einen besonderen Grund braucht, um Musik zu machen. Diesmal lag der Fokus darauf, dass man besonders reizvolle Jazz-Stücke aus den 50er und 60er Jahren interpretiert im Trio Trompete/Schlagzeug/Klavier. Das ist unsere Art, Jazzmusik zu machen, und die stellen wir hier vor.

Frage: Waren Sie als Trompeter eigentlich bisher unterfordert? Oder woher kommt dieses Selbstbewusstsein, diese Selbstverständlichkeit, mit der Sie hier Ihr Instrument in Jazz-Stücken spielen?

Regener: Unterfordert ist ein gutes Wort. Bei Element Of Crime singe ich meistens, und oft spiele ich auch noch Gitarre dabei, da gibt es nur manchmal die Möglichkeit, mit der Trompete was zu machen. Und es muss ja auch zur Musik passen. Trotzdem ist die Trompete bei Element Of Crime durchaus auffällig - Rockbands mit Trompete gibt es eben nur wenige. Jetzt, bei dieser Platte ist das anders, da ist die Trompete meine Stimme und sonst nichts. Ich hab' ja die Trompete immer als meine schönere Stimme empfunden... Na, jedenfalls als die andere Stimme.

Außerdem war dann natürlich die Auseinandersetzung mit diesen Stücken so reizvoll, Kompositionen von Coltrane, Monk, Parker und anderen. Weil die so wunderbar sind. Deshalb haben wir sie relativ pur so gelassen, mit einer Art Cool-Jazz-Ansatz. Das hat Spaß gemacht. Eigentlich war es toll, mal Musik ohne Worte zu machen.

Frage: Die Stücke auf "Ask Me Now" klingen kompetent, lässig und liebevoll eingespielt. Welche Herangehensweise hatten Sie als Jazz-Trio? Und welchen Anspruch an sich selbst, auch welche Vergleiche?

Regener: Ach, das hat's noch nie gebracht - sich zu vergleichen. Besser, schneller, höher, weiter... Wir sind Liebhaber aller Musik, die wir machen. Wir haben das gespielt, weil wir daran Spaß hatten, und dann einen eigenen Zugang gefunden. Man kann es als Ergänzung sehen zu dem, was es an Interpretationen dieser Stücke schon gibt.

Frage: Und wie haben Sie das Material ausgesucht, mit Klassikern wie "Round Midnight" oder "Nature Boy"? Coltrane, Monk, Gillespie, Holiday, Parker - ein bisschen Crème de la Crème.

Regener: Die Mischung hat sich eigentlich über die Stücke ergeben, mit denen wir die schönsten, interessantesten Ergebnisse hatten. Wir haben ein paar mehr aufgenommen und manche auch wieder verworfen. Wir haben jetzt auch einige schnellere Stücke dabei, aber es ist bei den drei Akteuren auch keine Überraschung, dass wir zu den balladesken Stücken einen schnelleren, einfacheren Zugang hatten. Da fiel es uns leicht, eine Verbindung herzustellen.

Frage: "Ask Me Now" ist ja nicht Ihr erstes Seitenprojekt der letzten Zeit. Zuletzt haben Sie ein altes Lied Ihrer Band als Italo-Pop bei der Crucchi Gang gesungen. Wird es davon mehr geben?

Regener: Ich könnte das nochmal machen, aber es muss auch nicht sein, weil die Leute um Francesco Wilking, der das organisiert, sicher noch andere Leute dazu holen möchten. Element Of Crime haben ja schon von "Weißes Papier" 1993 eine französische Fassung gemacht, das war eine lustige, interessante Arbeit und hat heute einen gewissen Kuriositätenwert. Ich kenne das also. Kann man machen, aber ich bin nun auch nicht besessen davon.

Frage: Was Sie als Schriftsteller sicher immer wieder gefragt werden: Wie geht es weiter mit Herrn Lehmann und seinen Leuten? Können Sie sich vorstellen, da nochmal nachzulegen? Verraten Sie doch mal ein bisschen was.

Regener: Ich wollte mit meinem neuen Roman eigentlich im vergangenen Herbst anfangen, habe dann aber schon im vorigen Frühjahr begonnen, weil eben so viele Konzerte ausgefallen waren. Die Handlung spielt 1980, es ist quasi die Fortsetzung von "Wiener Straße" mit teilweise erweitertem Personal. Da fliegen alle Löcher aus dem Käse, das hat sehr viel Spaß gemacht. Der Titel lautet "Glitterschnitter". Das war ja die Band bei "Magical Mystery", mit Raimund und Ferdi, in der Karl Schmidt die Bohrmaschine gespielt hat.

Frage: Also die Ideen rund um Ihre Regener-Figuren gehen nicht aus?

Antwort: Es gibt da noch viele Geschichten zu erzählen. Ich habe auch schon über eine Fortsetzung von "Herr Lehmann" nachgedacht. Also was passiert eigentlich, nachdem er da am Ende relativ entwurzelt ist? Oder: Was passiert mit Karl Schmidt, wenn der zurück ins dann vereinigte Berlin kommt? Das ist alles möglich. Diesen neuen Roman wollte ich schon lange schreiben und hatte viele Ideen dafür. Es ist eine gute, lustige Geschichte geworden. Für mich sind die 80er halt einfach eine interessante Zeit.

Frage: Ihre Bücher sind ja schon mehrfach verfilmt worden, und sie würden sich vermutlich auch bestens für eine Fernsehserie eignen. Können Sie sich sowas vorstellen?

Antwort: Ja und nein. Ich hatte "Wiener Straße" damals sogar als Fernsehserie konzipiert. Aber das wurde dann nichts, es gab so viele Bedenken. Das Gleiche am Theater. Dann habe ich einen Roman draus gemacht, und der lief wie geschnitten Brot. Ich denke, für mich ist es besser, meine Geschichten als Roman zu erzählen, da kann ich die unausgesprochenen Gedanken der Leute miterzählen, die eigentlich den Extraspaß ergeben und im Fernsehen natürlich eher wegfallen. Klar, man könnte daraus auch eine Riesen-Serie machen. Muss man aber nicht. Es muss ja nicht alles im Fernsehen laufen.

ZUR PERSON: Der Musiker, Roman- und Drehbuchautor Sven Regener wurde am 1. Januar 1961 in Bremen geboren und lebt seit langem mit seiner Familie in Berlin. Mitte der 1980er Jahre gründete er die Rockband Element Of Crime, mit der er seit der Umstellung von englischen auf deutsche Texte großen Erfolg hat.

Mit seinem Berlin-Roman "Herr Lehmmann" (2001) und weiteren, teilweise verfilmten Büchern wie "Neue Vahr Süd", "Magical Mystery" oder "Wiener Straße" etablierte sich Regener auch als einer der populärsten deutschen Schriftsteller.

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