Berlin. Er liebt die wilde Improvisation ebenso wie die schöne Melodie. Auf diese fokussiert sich Klavier-Ikone Joachim Kühn mit seinem neuen Album. Ein Balladen-Solo - mal wieder was Neues vom Jazzpionier.

In wenigen Tagen, am 15. März, wird die deutsche Piano-Legende Joachim Kühn 77. Aber es ist gewiss nicht behäbige Altersmilde, die diesen Jazz-Pionier zu einem so ruhigen, zarten Soloalbum getragen hat.

Viel eher ist auch auf "Touch The Light" Kühns über Jahrzehnte gepflegter, neugieriger, offener Entdeckergeist zu spüren - nur dass er sich diesmal in Wohlklang und Harmonie zeigt.

"Vielleicht, wenn ich 90 bin...", soll der gebürtige Leipziger seinem Produzenten Siggi Loch geantwortet haben, als dieser ihm vor einiger Zeit vorschlug, doch mal ein reines Balladen-Album aufzunehmen. Es kam dann früher - zum Glück (nicht nur) für corona-gestresste Hörer: Von Klassik (Ludwig van Beethoven) über Jazz (Joe Zawinul, Bill Evans) und Latin (Milton Nascimento) bis Pop (Bob Marley, Prince) interpretiert Kühn voller Eleganz die versonnenen Kompositionen.

Herzergreifend schön gelingt jedes der 13 Stücke - besonders das Beethoven-Allegretto, Marleys hier ganz stiller "Redemption Song", "Purple Rain" von Prince und Gato Barbieris berühmte Filmmelodie aus "Der letzte Tango in Paris" sind dann aber doch hervorzuheben. Zwei eigene Stücke - "Sintra" und "Touch The Light" - überzeugen ebenso.

Nach seiner auch mal wilden "Piano Works"-Hommage an den langjährigen Weggefährten Ornette Coleman (2019) wirkt Kühns Balladen-Platte kein bisschen altbacken. Im Corona-Jahr hatte er viel Zeit in seinem Haus auf Ibiza verbracht - und sich von feinen Melodien inspirieren lassen. "Hier kann ich mit meinem wundervollen Flügel und meinem DAT-Recorder einfach eine Aufnahme machen, wenn ich will. Wenn das Gefühl kommt, nehme ich einfach auf", erzählt der 76-Jährige.

Diese entspannte Nach-Gefühl-Methode hat nun ein besonders nahe gehendes Spätwerk-Album des international wohl einflussreichsten Jazz-Musikers aus Deutschland ermöglicht. Oder, wie der Mann mit dem grauen Wallehaar selbst über sein Titelstück sagt: "Hier steckt eine Menge Liebe drin. Und Freude." Unüberhörbar.

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