Melbourne. Wird Tame Impalas lang erwartetes Album einmal für den Klang der “Zwanziger Jahre“ stehen? Kevin Parker, der zuletzt auch Popstars wie Lady Gaga produzierte, verbindet auf “The Slow Rush“ das Erbe früherer Jahrzehnte mit der Moderne.

Welche Erwartungen Tame Impala in der Vergangenheit geweckt haben, lässt sich gut an den Musikern ablesen, mit denen die Band um Mastermind Kevin Parker in einem Atemzug genannt wird.

In einem Ranking der meisterwarteten Alben des Jahres 2020, das das Magazin "Rolling Stone" veröffentlichte, findet sich der Name neben The Cure, Foo Fighters, Ozzy Osbourne, Pet Shop Boys und Lana Del Rey.

Jetzt also das vierte Studioalbum "The Slow Rush" - fünf Jahre nach dem Erfolgsalbum "Currents" und gut eine Dekade nach dem Debüt "Innerspeaker". Und man darf sich zu der These versteigen, dass über dieses Album noch gesprochen werden wird.

"The Slow Rush" ist ohne Zweifel das vielschichtigste Werk des Projekts von Multiinstrumentalist und Sänger Parker, das nur bei Konzerten als Band auftritt. Außerdem ist die Platte weitestgehend tanzbar. Dabei gestalteten sich die Aufnahmen nicht gerade einfach, ja teils traumatisch.

Ende 2018 rettete sich Parker nur mit Glück und sprichwörtlich in letzter Sekunde vor dem verheerenden Brand im kalifornischen Malibu, dem auch das Haus des deutschen Entertainers Thomas Gottschalk zum Opfer fiel. "Ich schlafe normalerweise ein wenig länger, deshalb hatte ich wirklich Glück, an diesem Tag so früh aufgewacht zu sein", zitierte "Seven West Media" den Musiker, der in Malibu für Aufnahmen von "The Slow Rush" ein Haus gemietet hatte.

Abgesehen von einem Laptop und einer Gitarre verlor Parker sein dort gelagertes Musik-Equipment, zahlreiche Menschen ließen damals aber sogar ihr Leben. In das Album haben sich diese Erlebnisse nicht hörbar eingeschrieben. Doch als jüngst auch in Parkers australischer Heimat die Flammen tobten, kündigte er schnell eine hohe Spende für die Brandbekämpfung an.

Der "Los Angeles Times" erzählte Parker, welche Lebensereignisse die Arbeit am Album prägten: Die Heirat mit seiner Freundin Sophie Lawrence - und der Download der App "FaceApp", die anzeigt, wie man angeblich im Alter aussehen wird. "Das Gefühl, dass Zeit vergangen ist und du es nicht mal registriert hast - das ist das treibende Gefühl dieser Platte", sagte Parker der US-Zeitung.

Fünf Jahre Pause zwischen "Currents" und dem neuen Album waren demnach nicht geplant. Dass Parker aber plötzlich auch bei Popstars wie Lady Gaga oder Kanye West gefragt war, machte die verfügbare Zeit für das eigene Album knapper.

Die Platte klingt nun an vielen Stellen zugleich neu und vertraut. Parker hat den Psychedelic-Rock-Sound früherer Jahre angereichert und ausgebaut. Und überall - mal verborgen, mal stärker im Vordergrund - scheint das Erbe der Populärmusik vergangener Jahrzehnte durchzuklingen. Das Resultat ist eine eigene, charakteristische Klangwelt.

Einige Stücke sind sehr elektronisch, sphärisch, beatlastig und von Synthie-Sound geprägt. "Posthumous Forgiveness" etwa, ein Stück, das sich an Parkers verstorbenen Vater richtet, der im Tod plötzlich nahbarer wird, führt das dennoch zusammen mit dem Musikerbe der 60er und 70er: Organisch-warmer Schlagzeugsound, kurzes Gitarrenintro, das fast von Led Zeppelin stammen könnte, Orgeln - verfremdet mit elektronischen Effekten.

Auch in "Tommorrows Dust" koexistiert das Neue mit dem Klang früherer Zeiten. Nach einem Aktustikgitarren-Intro geht es polyrhytmisch weiter - das Schlagzeug spielt einen Dreivierteltakt, während die Grundmelodie im Viervierteltakt läuft. Das erzeugt eine ganz eigene Spannung, auf die sonst etwa in Spielarten des Jazz gern gesetzt wird. Hier paart sich anspruchsvolles Songwriting mit dem Mut, ganz unterschiedliche Einflüsse zu mischen und "zum Tanzen" zu bringen.

Tame Impala haben geliefert. Jetzt sind andere für 2020 mit Hochspannung erwartete Künstler mit ihren neuen Alben am Zuge.