Wenn ein Musikfestival sich das Thema „Freiheit“ auf die Fahnen schreibt, darf ein Name auf keinen Fall im Programm fehlen: Leonard Bernstein. Der amerikanische Multitaskingmusiker, als Pianist, Komponist und Dirigent gleichermaßen mit Talent und Temperament gesegnet, hat das Konzept von Freiheit mit jeder Faser seines Körpers gelebt. Bernstein liebte Menschen beiderlei Geschlechts und bekannte sich dazu, er engagierte sich früh für die Schwarzenbewegung und setzte kurz nach dem deutschen Mauerfall ein politisches Zeichen, als er Beethovens Neunte dirigierte und den Text in „Freiheit, schöner Götterfunken“ änderte
Bernsteins unbändige Freiheitsliebe manifestierte sich aber nicht nur in seiner Haltung zu gesellschaftlichen Fragen, sondern auch in seinem kompositorischen Schaffen. Die gängigen Stilgrenzen ignorierte er immer wieder nonchalant, so auch im selten gespielten Stück „Candide“, das Jeffrey Tate mit den Hamburger Symphonikern am 1. Mai in einer halbszenischen Aufführung beim Internationalen Musikfest Hamburg präsentiert.
Schon die Gattungszuordnung entzieht sich den üblichen Kategorien. Ist „Candide“ ein Musical? Eine Operette? Oder doch eher eine komische Oper?
Schwer zu entscheiden. Auch sonst lässt sich das rund zweistündige Musiktheaterwerk nicht so leicht fassen.Loriot hat das in seinem Opernführer sehr hübsch kommentiert: „,Candide‘, das Musical der Herren Voltaire und Bernstein, ist das einzige seiner Art, dessen genaue Inhaltsangabe – rasch vorgetragen – ebenso lange dauert wie das Musical selbst.“
Sparen wir uns also die Details. Die Handlung der Musical-Oper basiert jedenfalls auf dem Roman „Candide ou L’Optimisme“ des spitzfedrigen französischen Philosophen und Schriftstellers Voltaire. In seiner satirischen Novelle aus dem Jahr 1759 schickt Voltaire den nicht übermäßig hellen Jüngling Candide auf eine Odyssee, die ihn durch mehrere Kontinente und einen bunten Reigen menschlicher Desaster führt. Mit der von beißendem Spott und giftiger Ironie getränkten Erzählung über Krieg, Sklaverei und Naturkatastrophen wandte sich Voltaire gegen den Optimismus seines deutschen Kollegen Gottfried Wilhelm Leibniz, der den Menschen in der „besten aller möglichen Welten“ wähnte.
Leonard Bernsteins „Candide“-Adaption bildet die ziemlich schräge Handlung in einer Klangsprache ab, die munter zwischen den Stilen hin und her springt und sich dabei im reichhaltigen Fundus der Tradition bedient. Nicht umsonst empfand der Komponist selbst seinen eigenwilligen Mix als „Liebeserklärung an die europäische Musik“.
Damit die auch beim Publikum ankommt, hat Jeffrey Tate für die halbszenische Aufführung mit den Hamburger Symphonikern eine illustre Solistenriege engagiert.
Als Erzählerin der deutschen Zwischentexte – die vom bereits erwähnten Loriot stammen – ist Isabel Karajan zu erleben, Tochter des Dirigenten Herbert von Karajan. In der Hauptrolle des Candide steht der gefeierte amerikanische Tenor Jason Bridges auf der Bühne der Laeiszhalle; an seiner Seite gibt die kanadische Sopranistin Jane Archibald, die international für ihre Koloraturfestigkeit bejubelt wird, die Cunegonde. Besonders gespannt sein darf man auch auf die Rückkehr von Brenden Gunnell nach Hamburg. 2012 begeisterte der Amerikaner in einer Aufführung von Elgars „Dream of Gerontius“. Diesmal singt der Tenor gleich drei verschiedene Partien. Als Vokalensemble ist die EuropaChorAkademie am Start; die szenische Einrichtung übernimmt der Schauspieler, Autor und Regisseur Klaus Ortner.
„Candide“ 1.5. 19.00, Laeiszhalle. Karten zu 14,- bis 72,- unter T. 35 76 66 66
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