Mithilfe des Produzenten Timbaland glückt Justin Timberlake mit “The 20/20 Experience“ ein formidables Album. Die Texte sind eine einzige Eloge an Frau Jessica.

Seit einigen Jahren laufen Justin Timberlake und Jessica Biel Hand in Hand über die roten Teppiche oder turteln am Spielfeldrand der L.A. Lakers. Im Oktober gab sich das Paar in Apulien das Ja-Wort und feierte eine mondäne Hochzeit. Womit der Bräutigam seine Frau damals überrascht hat, ist nicht bekannt, mit dem Album "The 20/20 Experience" allerdings hat Timberlake ihr jetzt ein verspätetes Geschenk gemacht. Die Texte sind eine einzige Eloge an die nun zur Ehefrau gewordene Geliebte.

Timberlake träumt sich mit ihr auf den Mond, im kuscheligen Raumschiff ist nur Platz für zwei ("Spaceship Coupe"). Seine Liebe ist wie eine Sucht, schlimmer als jede Droge ("Pusher Love Girl"), die Geliebte verschmilzt mit ihm ("Mirrors"), und in "Tunnel Vision" löst sich ein mit Menschen überfüllter Raum in Nichts auf, bis nur sie übrig bleibt - die Einzige, die Angebetete. Die Texte sind alle etwas kitschig, doch es gibt Fans, für die diese Art von Poesie Romantik bedeutet. Vielleicht wird sich der eine oder andere Song demnächst auf dem Soundtrack einer hollywoodesken Romantic comedy wiederfinden. Kompatibel wären sie alle.

Die Hochzeitsgabe an die Gattin bekam der Multi-Entertainer jedoch nicht allein hin. Gewissermaßen als Trauzeuge fungierte Timothy Zachary Mosley, ein in jeder Hinsicht schwergewichtiger Mann. Unter seinem Künstlernamen Timbaland griff er bereits Aaliyah, Madonna, Nelly Furtado und einer ganzen Reihe von Hip-Hop-Künstlern als Produzent unter die Arme und machte damit seine Kunden und sich selbst reich. Für Justin Timberlake schmiedete er schon dessen Vorgängeralben "Justified" und "FutureSex/LoveSounds", beide ernteten dafür Grammys und Platin. "The 20/20 Experience" nun ist ein Meisterstück. Timbaland bediente sich in der Popgeschichte und formte aus den disparaten Rohstoffen ein glänzendes Geschmeide.

Michael Jackson und D'Angelo, R. Kelly und Barry White, afrikanische Trommeln und nahöstliche Gesänge, spacige Synthesizer und Streicher, mexikanische Fiesta-Trompeten und kubanischer Son, Micky-Maus-Stimmen und Hip-Hop-Beats - Timbaland zelebriert Maximalismus. Timberlake kann durch eine Klangbibliothek wandern, in der sich immer neue Abzweigungen und Kreuzwege auftun. Die zwölf Nummern auf der Deluxe-Version laufen fast 80 Minuten, mehr ist beim besten Willen nicht auf eine CD zu pressen. Viele der Songs dauern sieben oder acht Minuten und nehmen meistens nach zwei Dritteln einen unerwarteten Verlauf.

Radiofreundlich ist das nicht gerade, bis auf die Single "Suit & Tie" findet sich keine Nummer, die ins hiesige Formatradio passen würde.

Sechseinhalb Jahre ist es her, dass Timberlake "FutureSex/LoveSounds" herausbrachte, in der Popmusik eine Ewigkeit. Damals war er ein 25 Jahre alter Junge, jetzt ist er deutlich gereift, auch wenn ihn immer noch eine jugendliche Aura umgibt. Aus dem früheren Boygroup-Sänger ist ein anerkannter Schauspieler geworden, der nach seinem zweiten Soloalbum in zehn Spielfilmen tragende Rollen spielte, zuletzt mit Clint Eastwood und Amy Adams in dem Baseball-Film "Back In The Game".

Sein Erwachsenwerden zeigt sich auch musikalisch. Timberlake und Timbaland gingen mit den verspielten Tracks, mit den langen Codas und Outros künstlerische Risiken ein. Mit "Let The Groove In" und "Suit & Tie" gibt es nur zwei wirklich tanzbare Nummern, aber die Qualität von Timberlakes drittem Studioalbum liegt in der ausufernden Vielfalt. Erst nach mehrfachem Hören erschließt sich die Güte des luxuriösen Neo-Souls.

Auch ein paar Retro-Elemente finden sich auf "The 20/20 Experience". Das elegante "Suit & Tie" erinnert mit seinem Swing an den jungen Frank Sinatra, auch wenn Jay-Z, diesmal der einzige Gaststar, den Song im Mittelteil mit einem Rap aufbricht. In "That Girl" verbeugt Timberlake sich vor seiner Heimatstadt Memphis, wo in den 60er-Jahren der dreckige und schwitzende Southern Soul entstand und wo das Stax-Label zu Hause war.

Als "JT and The Tennessee Kids" kündigt Timbaland den Sänger an und lässt ihn dann den Song so roh singen, wie das vor 50 Jahren Standard war. Das Thema des Songs ist nicht gerade die Neuerfindung des Rades: Timberlake reimt "lady" auf "baby", alles dreht sich um das "number one girl". Seine Misses wird es freuen. Schöner kann ein Mann seine Liebe nicht zum Ausdruck bringen.

Justin Timberlake: "The 20/20 Experience" (Sony Music, erscheint an diesem Freitag)