Britischer Nerd-Funk trifft Prince mit Jamie Lidell am 19. März im Gruenspan. So ungehemmt wie auf seinem aktuellen Album hat der Neu-Nashviller es noch nie getrieben.

Das blaue Kabel oder das rote? Mit neuen Tonträgern von Jamie Lidell muss man sehr vorsichtig umgehen. Es kann sein, dass man auf einen fluffigen Motown-Heuler wie "Another Day" stößt, einem der vielen Höhepunkte seines dritten Albums "Jim" aus dem Jahr 2008. Es kann aber auch sein, dass einem die Songs des Briten um die Ohren fliegen wie auf seiner aktuellen, im Februar veröffentlichten Platte "Jamie Lidell". Ein durchgeknalltes Teil.

Für Lidell ist seine Musik ein Abbild seiner Persönlichkeit, und die ist höchst multipel. Eine akustische Vollmeise mit dem gesanglichen Können einer Nachtigall. Geboren 1973 in Huntington in Cambridgeshire verfeinert der junge Lidell neben seinem Philosophiestudium in Bristol den Umgang mit Beatboxing, Schlagzeug, Gitarre, Percussion, Posaune, Keyboard, Synthesizer und jedem möglichen und unmöglichen Effektgerät. Eine Erbschaft ermöglicht ihm ein reichhaltig ausgestattetes Tonstudio, in dem er seinem unbremsbaren Spieltrieb freien Lauf lässt.

In Brighton verstärkt er Ende der 90er das Techno-Ensemble Subhead. Dieser elektronische Crashkursus ist auch die Basis für Lidells diverse Techno-Produktionen jener Zeit und das Projekt Super_Collider, das er 1998 mit dem chilenischen Produzenten Christian Vogel gründet. Auf den Alben "Head On" (1999) und "Raw Digits" (2002) kollidieren Electro, Techno, Nose Funk und Soul mit gnadenlos verwirrenden Rhythmen, bauchboxenden Tieftönen und schwer auffindbaren Strukturen.

Auch Jamie Lidells erstes Soloalbum "Muddlin Gear" kümmerte sich 2000 einen Dreck um Grenzen, Konventionen und Hörgewohnheiten. Ein kruder, experimenteller Erstling, auf dem Lidell seine Limits auslotet, schaut, wie weit er gehen kann. Alles klar: viel zu weit.

Aber fünf Jahre später passt auf "Multiply" alles zusammen. Wenn Marvin Gaye, James Brown und Prince eine Platte zusammen aufnehmen würden, vielleicht mit Michael Jacksons Reglerschieber Quincy Jones als Produzent, dann könnte das klingen wie Jamie Lidell auf seinem zweiten Soloalbum. Warm, funky, atemlos. Der Nachfolger "Jim" geht noch ein Stück weiter zurück in die analogen 60er, auf "Compass" (2010) dreht sich die Nadel wieder in die wild funkenden 70er.

Aber auf keinem Album treibt es Lidell, der mittlerweile in Nashville lebt, so ungehemmt wie auf dem selbstbetitelten Neuling. Er treibt es mit seinem größten Idol: Alexander Nevermind, Joey Coco, Symbol, The Artist Formerly Known As - Prince. "Jamie Lidell" ist purer Minneapolis-Sound, wie ihn Prince Ende der 70er entwirft. Statt Bläsern füllen Synthies die percussiven Arrangements, Gitarren und Bässe stehen voll im Dienst des Songs, Gesang und Lyrics fahren mit der Achterbahn in die Lustgrotte des 80er-Funk.

Und wie ein Pokerspieler, der seinen kompletten Stack, seinen Stapel Chips in die Tischmitte schiebt, gilt auf "Jamie Lidell" das Prinzip all-in. Alles rein. Wenn ein pumpender Track wie "You Know My Name" in seine Bestandteile aufgedröselt wird, kommen gut 20 verschiedene Effektebenen und Instrumente zusammen, darüber mehrstimmiger Gesang. Starke Nummern wie das Eröffnungslied "I'm Selfish", das tribale "Don't You Love Me" oder die Michael-Jackson-Remineszenz "In Your Mind" würden wohl auch im reduzierten Gewand der "Jim"-Platte funktionieren. Aber ein Album, das Jamie Lidells Namen trägt, muss wohl alle Sound- und Song- Ideen vereinen, die sich in den vergangenen beiden Jahrzehnten angesammelt haben.

Da darf man gespannt sein, wie Lidell, als Alleinunterhalter oder mit Band ebenso spielfreudig wie auf seinen Alben, diesen Sound am 19. März im Gruenspan reproduziert. Oder ob er sich etwas ganz anderes ausdenkt.

Jamie Lidell Di 19.3., 20.00, Gruenspan (S Reeperbahn), Große Freiheit 58, Karten zu 26,70 im Vvk.; www.jamielidell.com