Der Hamburger Sänger erzählt auf seiner dritten Platte noch mehr eigene Geschichten: Kurze Impulse für den Alltag. Vom Kopf zum Herzen.

Hamburg. Was macht einer, der kein Anfänger mehr ist? Der sich nicht mehr mit ersten Schritten beweisen muss? Der zwar nicht auf ausgetretene Pfade zurückblickt, aber auf schöne, sich schlängelnde, auch solide Wege?

Für Johannes Oerding, der nun seine dritte Platte "Für immer ab jetzt" veröffentlichte, ist der Abschied von den Lehrjahren eine Befreiung. "Beim ersten Album war ich total auf der Suche. Man positioniert sich, deshalb habe ich auch lange daran gefeilt", sagt der Popmusiker über sein Debüt "Erste Wahl". Leicht erkältet, aber entspannt hockt er auf einem Sessel bei seinem Management auf St. Pauli. Die blond-braunen Haare gewohnt wie vom Sturm seitwärts geweht. Der Blick wach.

Offen erläutert der 31-Jährige, wie er für seine zweite CD "Boxer" zur "ganz großen Plattenfirma" wechselte. "Der Druck war schon mehr da als zuvor, weil auf einmal so viele Menschen mit daran beteiligt waren, daran hingen. Das ist auch ein ganzer Rattenschwanz an Verantwortung", sagt er. Oerding hat im Gespräch eine derart umgängliche Art, dass zu erahnen ist, was seine Fans an ihm lieben. Er ist einer, dem man coole, aber hoffnungslos verbeulte Secondhand-Autos abkaufen, ihm zugleich die eigene Oma anvertrauen würde. Einer zum Saufen und Sabbeln.

Für sein aktuelles Werk nun, erzählt Oerding weiter, hätte sein Team ihn "einfach machen lassen". Schließlich würde es ja auch keinen Sinn machen, "holterdipolter was herauszubringen". Er müsse doch auch erst mal wieder was erleben, was er aufschreiben wolle. Das Geschichtenerzählen, es ist immer stärker in den Fokus gerückt.

"Die schönsten Songs sind die, die ich eins zu eins erlebt habe", sagt Oerding. Und so erzählt er in "Traurig aber wahr" launig von seinen Erlebnissen auf Tour, von der Lücke zwischen Bühnenapplaus und zu Hause alleine sein. Oerding ist ein klassischer Vertreter der Idee, Songwriting als (nachdenkliche bis humorvolle) Therapiestunde zu begreifen. Um die neuen Stücke aufzunehmen, zog er sich mit Band und Produzenten in ein Hotelzimmer in Glücksburg an der Flensburger Förde zurück. Pop mit Meerblick sozusagen.

Die Abgeschiedenheit an der Küste, losgelöst von "doch noch mal 'n Kaffee in der Schanze", das habe er sehr genossen, erzählt Oerding. Atmosphäre, das ist zu spüren, ist ihm wichtig. Und dazu gehört auch das Wetter. Nicht, dass am linken Niederrhein, wo er aufwuchs, permanent die Sonne scheint. Aber das Klima in seiner Wahlheimat Hamburg will dann doch mal in einem Lied verarbeitet werden. "Der Song ist letztes Jahr im Sommer entstanden, als es die ganze Zeit durchgeregnet hat. Das hat mich wahnsinnig gemacht", sagt Oerding über die Nummer "Einfach nur weg". Zudem sei das damals so eine stressige Phase gewesen, "wo man sich auch mal ein bisschen überfordert fühlen kann". Handy aus, Laptop zu. Diese Sehnsucht besingt Oerding zur puren Akustikgitarre, die dann im Refrain in schwelgerischem Pianopop mündet.

In wärmere Gefilde träumt er sich auch in "Sommer", einem leicht swingenden Song mit viel "dap-dap-dap-da", in dem sich der Musiker mit Soul in der Stimme als Stefan Gwildis der nächsten Generation empfiehlt.

Oerding mag kein kontroverser Singer-Songwriter sein. Keiner, der mit komplexer Lyrik oder politischen Appellen aufwartet. Aber er verpackt Grundgefühle in drei, vier Minuten. Kurze Impulse für den Alltag. Vom Kopf zum Herzen. Und dabei bewegt er sich keineswegs bloß auf lichten Pfaden, sondern blickt auch in dunklere Gassen.

"Jemand wie dich" etwa verhandelt, wie die Suche nach Liebe oftmals in alten Mustern festhängt. Das Stück pendelt mit Elektrobeats an Akustikgitarre zwischen Intimität und Dramatik. Doch letztlich ist Oerding ein Optimist. Und sollte er diesen Umstand einmal vergessen und zu sehr in dieses "Getriebene" geraten, wie er es nennt, dann schreibt der Musiker sich "als Beruhigungstablette" eben einen hymnischen Song wie "Und wenn die Welt".

"Das Lied ist für mich eine Erinnerung, mir selbst öfter mal zu sagen: Hey, du kannst von morgens bis abends Musik machen, du hast was zu essen im Kühlschrank, du kannst die Miete bezahlen, du bist privat sehr, sehr glücklich, mit deinen drei, vier besten Freunden läuft es super, was regst du dich auf?", erklärt Oerding. Und auch seine Liebe zum Live-Spiel kann er in diesem Jahr voll ausleben. Neben Terminen in der Großen Freiheit (14. April) und im Stadtpark (24. August) geht er im Frühling mit Joe Cocker auf Tour (8. Mai, O2 World). In den Versen seines neuen Titels "Nicht genug" klingt dieses Leben dann so: "Zugabe, viel Gefühl, atemlos, abkühlen, gute Show, Heiserkeit, aber Bilder für die Ewigkeit." Das ist kein Anfang mehr. Sondern mittendrin.

Johannes Oerding: „Für immer ab jetzt“, Columbia, erhältlich