Der Musiker, vielleicht der deutscheste aller deutschen Sänger, veröffentlicht heute sein neues Album “I Walk“, in dem er englisch singt.

Hamburg. Bono ist mit dabei, unter anderen. Man ist zunächst geneigt, das ganz furchtbar zu finden, weil die Kombination des irischen Volkssängers mit dem deutschen Volkssänger Herbert Grönemeyer ja eigentlich automatisch zu einem grässlichen Overkill führt. Einem Zuviel von Prominenz und Superstar-Aura - und dann singen die beiden auch noch "Mensch", Grönemeyers größten Hit und Erbauungssong, bei dem man immer an Kirchentage und Deiche denken muss. Sie singen ihn auf Englisch.

Klingt furchtbar? Ja, klar. Ist aber nicht furchtbar. Wer Bono nicht mag und Grönemeyer, diesen immer so angestrengt unbiederen germanischen Überbarden, sowieso nicht, der sollte um "I Walk", Grönemeyers neues englisches Album, einen weiten Bogen machen: Ekel-Alarm. Grönemeyer-Fans dagegen, das liegt in der Natur der Sache, werden des Meisters Übertragungen in die Weltsprache Englisch goutieren - wie alles von ihm. Aber auch wer dem Phänomen Grönemeyer - 13 Millionen verkaufte Hörträger - lediglich staunend und prinzipiell offen gegenübersteht, der schluckt beim Hören der neuen Interpretationen nicht unbedingt betroffen.

Man kann nämlich zunächst festhalten, dass "Mensch" auch auf Englisch ein toller Song ist, ein Meisterstück der Pop-Poesie. Sie kommt nun in folgenden Worten daher: "A man's called man/cause we forgive and understand/we forget and we deny/we lose and still we try/cause we love/cause we live/I miss you". Funktioniert immer noch. Der Song heißt übrigens auch auf dem englischen Album "Mensch", und wer weiß schon, ob der London-Herbie, der seit fast anderthalb Jahrzehnten in Englands Hauptstadt lebt, damit dafür sorgt, dass es bald einen deutschen Sprachzugang im Englischen gibt.

Womit wir bei den Erfolgsaussichten, also auch bei Sinn und Unsinn einer englischen Platte des vielleicht deutschesten aller deutschen Popmusiker wären. Das Werk vereint einige Grönemeyer-Klassiker: Neben "Mensch" auch das unkaputtbare "Flugzeuge im Bauch", das nun "Airplanes In My Head" heißt. Des Deutschen Bauch ist des Engländers Kopf, so könnte man im Hinblick auf Mentalitätsunterschiede sagen. Überhaupt sind die Texte nicht Wort für Wort in die andere Sprache zu übertragen. Das würde kaum funktionieren, und deshalb wird aus "Glück" (vom Album "12") "All That I Need" und aus "Deine Zeit" (von "Schiffsverkehr") "Before the Morning". Grönemeyer textete nach Klang, damit die Wörter weiterhin Schliff haben.

Grönemeyer ist allerdings vor allem ein so wichtiger Künstler in den deutschsprachigen Ländern geworden, weil seine Lieder zeitgemäße deutsche Dichtungen sind. Und nicht etwa wegen seiner Knödelei oder seiner Gesangs- und Bühnenmarotten. Nicht nur vor diesem Hintergrund darf man "I Walk" durchaus als künstlerische Überschusshandlung sehen: In einem Interview mit einem englischen Journalisten sprach Grönemeyer, der mittlerweile auch schon 56-Jährige, von Songs, die im Englischen neu aufblühen - weil "die Musik in den Vordergrund rückt, die Stimmung, die Farbe des Gesangs".

Was insofern stimmt, als sich beim Hören von "I Walk" tatsächlich der typische Effekt einstellt, auf das in anderer Zunge Gesungene mit nachlassender Aufmerksamkeit zu reagieren. Im Umkehrschluss könnte das allerdings bedeuten, dass zumindest die Engländer und Amerikaner (außerdem wird "I Walk" noch in den Beneluxstaaten veröffentlicht) ganz genau auf die Texte hören. Dass Grönemeyer mit dem Album auf den Stamm-Markt in Deutschland, Österreich und der Schweiz allenfalls schielt, beweist das spärliche Marketing. Grönemeyer wird selbst wissen, dass viele Hörer seiner Muttersprache vielleicht doch nicht so viel damit anfangen können, wenn er in der Weltsprache des Pop singt, die ohnehin schon so dominant ist.

Es ist ja nicht sein erster Versuch; Ende der 80er-Jahre erschien bereits eine Zusammenstellung seiner Songs ("What's All This"). Anschließend wurden die Alben "Luxus" und "Chaos" gleich vollständig in Englisch eingespielt. Nennenswerte Verkäufe hatte Grönemeyer jedoch nicht zu verzeichnen. Das gelang nur Nena, deren "99 Red Balloons" ein Nummer-eins-Hit in England war. Die Originalversion surfte auf der neuen deutschen Welle immerhin auf Platz zwei der amerikanischen Charts. Nena war damals eine Wucht und zu Recht der Stolz der deutschen Popmusik. Bei Grönemeyer denkt man nun auch nicht unbedingt an die desaströsen Scorpions und den "Wind of Change" (weltweit Nummer eins!), die ohnehin immer auf Englisch sangen, aber den glücklichen Nena-Augenblick kann man eben auch nicht erzwingen.

Und so ist "I Walk" am Ende vielleicht doch nicht mehr als die ehrgeizige Unternehmung eines Mannes, der eigentlich alles erreicht hat. Mit "I Walk" kann er nun zeigen, dass er auch ein International Player ist und Musiker wie Bono, James Dean Bradfield (Manic Street Preachers) und Antony Hegarty mit ihm ins Studio gehen. Zugegeben, das hört sich etwas böse an, deshalb sei erwähnt, dass sich die Arrangements auf "I Walk" von den Originalen teilweise beträchtlich unterscheiden, drei Songs sind ganz neu. Bei ihnen ist Grönemeyer tatsächlich ein ganz anderer.