1939 floh der Pianist vor den Nationalsozialisten. 73 Jahre später erhält der 88-Jährige die deutsche Staatsbürgerschaft zurück.

Hamburg. Natürlich ist es nur ein Bonmot, aber es liest sich wie eine präzise Selbstbeschreibung. Als der Abendblatt-Fotograf den Pianisten Menahem Pressler bittet, seine Hände hochzuhalten, tut er es lächelnd und sagt: "Wissen Sie nicht? Beim Pianisten soll man nicht die Finger sehen, sondern das Herz." Dass man, wenn Pressler spielt, immer sein Herz, nun ja, vielleicht nicht sehen, aber doch spüren und vor allem hören kann, wie es im Takt einer alten, schon fast ausgestorben scheinenden Klaviertradition schlägt: Das macht jedes Konzert des 88-Jährigen, der ein gutes halbes Jahrhundert lang der Pianist des Beaux Arts Trios war, zu einem unvergesslichen Erlebnis.

Heute wird dem in Magdeburg geborenen Musiker, der im August 1939 in Begleitung seiner Eltern und seiner beiden jüngeren Geschwister mit dem letzten Schiff über Triest nach Palästina aus Nazideutschland floh, im Bundesverwaltungsamt Berlin die deutsche Staatsbürgerschaft verliehen.

Es sei dies eine besonders freudige Überraschung für ihn gewesen, erzählt Pressler, der dieser Tage als Vorsitzender der Jury der International Chamber Music Competition (ICMC) in Hamburg weilt, zwischen Wurstbrötchen und Frühstücksei. Er sei ja drei Wochen vor Kriegsbeginn gerade noch rechtzeitig ausgewandert aus Deutschland. Ausgewandert. Was für ein gemächliches, Freiwilligkeit implizierendes Fußgängerwort für die lebensrettende Zwangshandlung der geordneten Flucht.

Doch auch dieser Begriff will einem charakteristisch scheinen für den kaum 1,50 Meter kleinen Herrn, der neben seinem Charme vor allem Güte ausstrahlt. Er habe so viel Glück gehabt, sagt Pressler mehrmals. Wenn man in sein lebensfrohes Gesicht schaut, ist man versucht zu glauben, dass es eine Form der Menschlichkeit geben muss, die stärker ist als alles Böse dieser Welt.

Menahem Pressler ist amerikanischer Staatsbürger. Seine Karriere begann ja in den USA, gleich nach dem Krieg, als er 1946 in San Francisco den Debussy-Wettbewerb gewann. Nach der Übersiedlung wollte seine aus Israel stammende Frau, dass er mit den beiden Kindern, die sie bekamen, weiterhin deutsch sprach. "Das habe ich immer getan", sagt er und amüsiert sich darüber, wie er seine dann doch eher radebrechende Tochter insbesondere bei teuren Ferngesprächen dazu anhalten wollte, lieber englisch zu sprechen, weil sie sich darin schneller verständlich machen konnte.

Von der deutschen Kultur - "das Essen, die Literatur, die Musik" - hat Pressler sich nie lösen wollen. 1955 gründete er mit dem aus Frankreich stammenden Geiger Daniel Guilet und dem Cellisten Bernard Greenhouse das Beaux Arts Trio, das rasch zu einem der wegweisenden Kammermusikensembles weltweit wurde. Pressler blieb bis zur Auflösung 2008 die feste Größe des Trios. Parallel unterrichtete er an der Jacob School of Music in Bloomington im US-Bundesstaat Indiana ebenso wie in unzähligen Meisterkursen. "Ich bin ein strenger Lehrer, wenn es um den Notentext geht", sagt er. "Doch was mir bei meinen Schülern am wichtigsten ist: die Liebe zur Musik. Es gibt ja seit einiger Zeit unter jungen Pianisten die Invasion von guten, schnellen Fingern. Da wird Musik zum Tennis-Match. Dieser Athletizismus ist wunderbar, aber das reicht nicht. Man darf doch nicht über die großen Momente in der Musik einfach so wegspielen."

Die "Los Angeles Times" betrachtet Menahem Pressler als "nationalen Schatz". Ob der Pianist nun auch einen deutschen Pass beantragen wird? Darüber habe er noch nicht nachgedacht, sagt Pressler. Für ihn zählt ganz augenscheinlich die Geste.

Ungeachtet seiner Jahre konzertiert er weiterhin in aller Welt, auch regelmäßig in Madgeburg, der Stadt seiner Kindheit, die Pressler vor drei Jahren die Ehrenbürgerschaft antrug. Bis Kriegsausbruch betrieb sein Vater hier ein Geschäft für Anzüge und Hosen. Nur der Name der Straße, in der dieses Vaterhaus stand, ist aus seinem Gedächtnis gelöscht.