Die Schau “Wunder“ in den Deichtorhallen widmet sich den Mysterien

Eine Plastiktüte plustert sich auf und eilt davon. Plötzlich stoppt sie, scheint zu überlegen, stolpert weiter und bleibt beruhigt liegen. Ein Stück Karton hoppelt davon. Ein rollender Plastikteller kommt vorbei. Im Film von Igor & Svetlana Kopystiansky erscheint der Müll auf der Straße seltsam belebt. Müll? Nein. Die Dinge gleichen eindeutig eher geheimnisvollen Wesen, und man schaut gebannt und schmunzelnd ihrem eigenwilligen Treiben zu.

Dieser zauberhafte Film ist Teil der Ausstellung "Wunder" in den Deichtorhallen. Die große Schau versammelt Werke von rund 60 Gegenwartskünstlern und dazu eine Vielzahl von Objekten und aus Religion, Wissenschaft und Technik. Zu sehen sind etwa ein Teil der Wunderwaffe V2, mit der Hitler doch noch den Krieg gewinnen wollte, historische Wundergläser, Geisterhände und Wunderpillen, die verbogenen Gabeln von Uri Geller oder eine Zauberschale aus dem 4. Jahrhundert. Gruppiert sind diese Gegenstände um Skulpturen, Installationen, Fotografien und Filme etwa von Joseph Beuys, Cosima von Bonin, Martin Kippenberger und Albert Oehlen, Katharina Sieverding, Thomas Schütte oder Fiona Tan.

Die interdisziplinäre Schau wurde von der Berliner "Praxis für Ausstellung und Theorie" kuratiert und entstand in Kooperation mit der Siemens Stiftung. Sie erzählt von dem, was in unserer Welt aus dem Rahmen fällt, und fragt nach Rolle und Bedeutung des Wunders. Denn das Unerklärliche war immer auch Herausforderung und Antrieb für Wissenschaft und Forschung. Die Ausstellung lässt aber auch Raum zum Staunen, und weil Kinder dafür besonders empfänglich sind, gibt es die sogenannte Kinderspur. Aus diesen Räumen dringt gelegentlich fröhliches Gelächter, während Erwachsene sich vielleicht ernsthafter in die filigrane Schönheit des Zepters der Humboldt-Universität Berlin vertiefen.

Es ist dieser weite Blick über Jahrhunderte und Disziplinen hinweg, der fasziniert. Eine Vielzahl von Dingen, ähnlich wie in den Wunderkammern des Barock. Da gibt es einen schimmernden Meteoriten aus dem Jahr 11 000 vor Christus, ein Perpetuum mobile, Goethes Zauberkasten oder das Patent für Wunderkerzen, ausgegeben in Hamburg 1906. Flugblätter aus dem 16. Jahrhundert berichten von Missbildungen, Himmelserscheinungen und seltsamen Meereslebewesen. Die Häufung der "Zeichen" hat die Menschen wahrscheinlich in Angst und Schrecken versetzt. Dabei erfuhren sie dank Erfindung des Buchdrucks nur öfter davon.

Überhaupt ist der Wunderglaube besonders in der christlichen Religion präsent und zeigt hier auch seine manipulative Seite. Denn all die Wunderheilungen und tränenden Heiligenbilder hatten den Zweck, die Menschen von der Allmacht Gottes zu überzeugen. Andere Kulturkreise, etwa das Judentum oder der Islam, kennen Wunder nicht. Aber auch mithilfe der Geometrie lassen sich wunderbare Dinge herstellen. Wie etwa die funkelnde Spiegelskulptur von Timo Nasseri. Der deutsche Künstler iranischer Abstammung schuf ein kristallines Gebilde aus poliertem Stahl, in das man hineinblickt, ohne sich jemals selbst zu sehen.

Wunder. Kunst, Wissenschaft und Religion vom 4. Jahrhundert bis zur Gegenwart bis 5.2.2012, Deichtorhallen/Halle für aktuelle Kunst, Deichtorstraße 1-2, Di-So 11.00-18.00, jeden ersten Do im Monat 11.00-21.00, Katalog 24,80 Euro