Kampnagel-Kritik

Geprägt durch Corona: Eine Rap-Oper um eine verlorene Nase

| Lesedauer: 3 Minuten
Jessica Nupens „The Nose“ ist auf Kampnagel ein Film mit Gesangs- und Tanz-Szenen.

Jessica Nupens „The Nose“ ist auf Kampnagel ein Film mit Gesangs- und Tanz-Szenen.

Foto: Joel Janse van Vuuren

Jessica Nupens „The Nose“, frei nach Gogol, erzählt auf Kampnagel von einem zersplitterten Verhältnis zur Welt – und von der Pandemie.

Hamburg. Es gibt einen sympathischen Filmeinspieler, der die vierte Wand an diesem Abend kurz durchbricht. „Drei Tage vor der Premiere Absage. Lockdown!“, stöhnt darin ein Darsteller. Die Rap-Oper „The Nose“ der Hamburger Choreografin Jessica Nupen, frei nach der 1836 erschienenen Vorlage von Gogol, zählte im März 2020 zu den ersten kulturellen Pandemie-Opfern. Später wurde sie wieder angesetzt – und erneut vertagt. Die südafrikanischen Tänzerinnen und Tänzer durften nicht reisen.

Es war wie verhext, und so stehen die vier Türen, die nun in der großen Kampnagelhalle in vier grob verputzten Paneelen ein mobiles Bühnenbild für einen hybriden Film abgeben, auch ein wenig für die vielen verschlossenen Türen dieser Produktion.

Der Rap-Oper ist die künstlerische Zwangslage anzumerken

Nupen ließ sich nicht unterkriegen und dachte die Produktion neu. Jetzt ist sie ein Film mit Gesangs- und Tanz-Szenen, ergänzt und belebt durch Live-Musik, wobei der musikalische Leiter Gareth Lubbe die Ursprungsmusik des Kanadiers Josh Socalled Dolgin noch einmal wesentlich mit neuen Kompositionen versehen hat.

Natürlich ist dem Endprodukt an einigen Stellen die künstlerische Zwangslage anzumerken. Um die Sache noch irgendwie zu retten, drehte Nupen fast im Alleingang sieben Tage lang Tanz- und Gesangsszenen an 14 Locations im südafrikanischen Johannesburg. Die flirren nun über vier ungleich große Wände, die keinen geraden Netflix-Beamer ergeben, wie wir es nun ja gewohnt sind. Was auf den ersten Blick anstrengt, schärft aber auch die Wahrnehmung. Gewiss, nicht alles lässt sich dechiffrieren, teilweise gehen die Szenen in bruchstückhaften Skizzen unter, dann wieder sprengen Gruppentableaus den Rahmen. Das große Bild liefert „The Nose“ nicht.

Mitreißende Mischung aus Klassik, Rap und Klezmer

Dennoch, das große Wunder besteht darin, dass es „The Nose“ nun überhaupt in die Welt geschafft hat, und seine besondere Erzählweise berichtet auch von dem historischen Ereignis der Pandemie.

Die Rap-Oper durchzieht tatsächlich so etwas wie ein Narrativ, in dem Major Kov eines Morgens aufwacht und seine Nase vermisst. Arien voller Verzweiflung sind die Folge. Ein Besuch bei einem desinteressierten Polizeibeamten bringt keine Hilfe. Bis die Nase auf einmal gefunden wird – sie wollte ohne Pass ein Flugzeug besteigen. Und verdächtig der ominösen Aktion ist ein undurchsichtiger Frisör. Schon bei Gogol ist der Stoff als surreales düsteres Märchen angelegt. Hier ist der Surrealismus in den Film verlegt, während acht Bühnenarbeiter die Paneele immer wieder neu gruppieren und das fantastische achtköpfige Live-Orchester mit einer verwegenen, aber ziemlich mitreißenden Mischung aus Klassik, Rap und Klezmer aufspielt.

Rap-Oper: Ungleichgewicht zwischen Europa und Afrika

Es gibt sehr schöne, zeitgenössische Tanzszenen, die ein Gegenstück zum Gesang liefern, aber dort auch eine Entsprechung finden. Gipfelnd in einem grandiosen Schnitt aus einem Club in eine eindrucksvolle Wüstenlandschaft zu einem Pas de Deux. Natürlich hätte man diese Tanzszenen gerne auf der Bühne gesehen, performt von leibhaftigen Tänzerinnen und Tänzern.

Jessica Nupens „The Nose“ erzählt von einem zersplitterten Verhältnis zur Welt. Und mit großer Eindringlichkeit von einem Ungleichgewicht, das in der Pandemie zwischen Europa und Afrika eher noch größer geworden ist.

„The Nose“ Bis 30.10., 20.00, Kampnagel, Jarrestraße 20-24, Karten unter T. 27 09 49 49; www.kampnagel.de

( asti )

Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Kritiken