Laeiszhalle

Wie eine Halb-Oper beim Alten Werk zu etwas Neuem wurde

| Lesedauer: 3 Minuten
Verena Fischer-Zernin
Die Laeiszhalle in Hamburg.

Die Laeiszhalle in Hamburg.

Foto: Andreas Laible

Ensemble Solomon’s Knot führt in der Laeiszhalle Musiktheater auf. Ein kompaktes Stück im praktischen Corona-Stundenformat.

Hamburg.  Seien wir ehrlich: „The Fairy Queen“ ist Flickwerk. Da kann die Musik noch so sehr von Henry Purcell stammen, dem nach verbreiteter Ansicht größten britischen Komponisten aller Zeiten. Das Stück ist nämlich eine sogenannte Semi-Opera, wörtlich übersetzt eine Halb-Oper. Der Musik kommt hier nur kommentierende Funktion zu, die Handlung wird gesprochen. Und das Textbuch, leider ist es nicht von Shake­speare, hat jemand denkbar grob zusammengezimmert.

Ein Grund mehr für die britische Gruppe Solomon’s Knot, für das Konzert beim Alten Werk in der Laeiszhalle Purcells Beitrag zur „Fairy Queen“ mit anderen Arien, Ensembles und Instrumentalstücken aus seiner Feder zu etwas Neuem zu kombinieren. Das Ergebnis hätte man in der Barockzeit „Pasticcio“ genannt, Eintopf, was kein bisschen ­despektierlich gemeint war.

Kompaktes Stück Musiktheater

Herausgekommen ist ein kompaktes Stück Musiktheater im praktischen Corona-Stundenformat. Die Aufstellung der Sänger, locker über die Bühne verteilt, die Damen in bunten Kleidern, erinnert ein wenig an eine englische Gartenparty. Nur die Hüte fehlen. Die ­Ins­trumen­talisten stehen an den seitlichen und hinteren Bühnenrändern und umrahmen die Sänger. Das gebieten wahrscheinlich die Abstandsvorschriften, aber ach, man hört es leider immer mal, wie groß die Entfernungen sind. Auch wenn sich die Schlagwerkerin mit ihrem Tambourin alle Mühe gibt, Geigen und Oboen zusammenzuhalten, klappert es hier und da. Zumal Solomon’s Knot ohne Dirigent musiziert.

Das Ensemble versteht sich als Kollektiv. Die Mitwirkenden geben die Einsätze, wie es musikalisch Sinn ergibt. Bei den Sängern funktioniert das auch toll. Was für ein Glück, mitzuerleben, wie die acht Stimmen in den Ensembles zu einem homogenen Organismus verschmelzen, wie perfekt sie gemeinsam artikulieren.

Das Orchester ist üppig besetzt

Dann wieder nehmen sich Einzelne zurück, um andere Stimmen im Gesamtgefüge hervortreten zu lassen. Für die Arien lösen sie sich mühelos aus dem Ganzen und fügen sich nachher bruchlos wieder ein. Das ist mehr als Gesangskunst, es ist eine Lebenseinstellung. Und es ist sicher kein Zufall, dass das Programmheft gerade nicht angibt, wer nun welche Arie gesungen hat. Wie die Sänger und Sängerinnen heißen, die ihre Triller und Schleifer und Umspielungen mit einer berückend nonchalanten Subtilität an die Töne schmiegen. Hinreißend das kurze Frauenterzett in „How happy the lover“.

Für die Verhältnisse der Purcell-Zeit ist das Orchester üppig besetzt, mit Trompeten und Oboen. Doch der Komponist versteht es meisterhaft, mit wenigen Mitteln Farben und Stimmungen zu erzeugen. Mal reichen ihm zwei Geigen und eine Bratsche, um einen Sänger zu begleiten. Nein, die Musik ist alles andere als Flickwerk.

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Als Zugabe singt Solomon’s Knot a cappella den Choral „Mitten wir im Leben sind vom Tod umfangen“, in Hamburg geschrieben von Georg Philipp Telemann in seinem Todesjahr 1767. Die Wechsel zwischen den ungewohnten Harmonien sind pieksauber. Jede Phrase ist perfekt zusammen, sie brauchen ein­ander nicht einmal anzusehen. Die Anwesenden sind so ergriffen, dass sich noch lange nach dem letzten Ton niemand zu rühren wagt. Dieser kurze Choral ist die Musik zur Stunde.

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