Hamburg. „Die 9. Sinfonie war dem preußischen König gewidmet, er schenkte mir dafür eine Brosche, die mir gerade einmal 300 Gulden brachte – Dankbarkeit ist so eine Sache“, grantelt Ludwig van Beethoven. Es gibt einiges, was dem berühmten Komponisten auf der Leber liegt. Wien ist nicht Bonn, und Elise ist nicht Eleonore, Barbara, Christine, Magdalena, Elisabeth, Josephine oder Therese. Und dann noch diese Lungenentzündung, die Gelbsucht, die Leberzirrhose. Es sieht nicht gut aus mit der Vollendung der 10. Sinfonie ...
Am 26. März 1827 starb Beethoven im Alter von 56 Jahren. Durchaus ein respektables Alter seinerzeit, und doch ist die Vorstellung interessant, was er sich nach der 10. Sinfonie ausgedacht hätte. Eine weiteres Oratorium, ein weiteres Streichquartett? Oper und Bühnenmusik? Für den aus Großhansdorf stammenden Berliner Rapper Marten McFly kommt auch eine Variante infrage: Beethoven hätte, an radikalen Ideen nie arm, natürlich den Rap erfunden. Da der grimme Schnitter aber zu früh zuschlug, lag es an McFly, das Album „Raptus Finalis – Beethovens 10. Sinfonie“ rechtzeitig im Beethoven-Jahr zum 250. Geburtstag zu vollenden.
Selbstreflektierende Reime
In den Tracks, in „Herbst“, „Und der Mond“ oder „Wie ein Mensch“, kommt das Genie selbst zu Wort. Als studierter Historiker wie auch als stets experimentierfreudiger Hip-Hop-Künstler wertete McFly Beethovens überlieferte Korrespondenz, seine Briefe, Tagebucheinträge und Konversationshefte aus und übertrug es in selbstreflektierende Reime. MC Beathoven erzählt wie der handelsübliche Straßenrapper aus seinem Leben, seinem Alltag und seinem Umfeld.
Der Diss, das Anzicken von Fürsten und anderen Obrigkeiten, darf dabei natürlich nicht fehlen: „Immer wieder Ärger mit den Männern in grauen Mänteln, grünem Kragen, ihre Anmaßung nicht auszudenken. Die nahmen mich fest, erkannten mich nicht, mein Erscheinungsbild wird zum Grund, mich auszugrenzen“, heißt es in „Raptus X“, und „mich stören diese Kleingeister, mich nerven Verbote, mein Kampf für diese Kunst, die Wahrheit, die Märtyrerkrone“.
Schnell gerappte Collagen
Die schnell gerappten Collagen aus Beethoven-Zitaten erzählen im Gesamtbild eine Menge Innenansichten des Unantastbaren, mit herrlichen kombinierten Bonmots Marke „meine Werke, intensiv, reißen alte Wunden auf, doch die vier Grundtempi sind mir zu ungenau: Andante, Presto, Adagio, Allegro, ich frage mich, wie man mich in Prag so verstehen soll?“ Unterlegt wird das mit der heutigen Entsprechung der Erfindung von Johann Nepomuk Mälzel: Satt pumpende Hip-Hop-Beats sind das Metronom des 21. Jahrhunderts, sie bilden das Fundament unter McFlys Reimen und gesampelten oder nachgespielten musikalischen Zitaten Beethovens.
Ein unterhaltsames Puzzlespiel für Beethoven-Kenner, die wenn auch nicht jedes Textzitat, aber die meisten Melodien und Ausschnitte zum Original zurückverfolgen können dürften. Dabei funktioniert „Raptus Finalis – Beethovens 10. Sinfonie“ aber auch nur als Gedankenspiel, als moderne Kunstlied-Sammlung und gelungene Umsetzung einer schwer vorstellbar scheinenden Idee. Noch mehr Freiheit in der Nutzung der Zitate und Kompromisse in der musikalischen Umsetzung – angefangen bei der doch etwas flachen Produktion – hätten dem Album aber nicht schlecht getan. Trotzdem bleibt es bemerkenswert, dass sich auch Rapper im Beethovenjahr von unsterblichen Geliebten, Sonaten und Sinfonien inspirieren lassen.
Album von Marten McFly: „Raptus Finalis – Beethovens 10. Sinfonie“ auf Spotify, Amazon Music u. a.; www.martenmcfly.de
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