Opernkritik

Händels „Alcina“ – eine Barock-Oper im Fast-Nichts

| Lesedauer: 3 Minuten
Joachim Mischke
Svenja Schicktanz in der Titelrolle von Händels „Alcina“

Svenja Schicktanz in der Titelrolle von Händels „Alcina“

Foto: Joachim Fluegel

Das Allee Theater stellt das Stück auf eine sehr leere Bühne. Der liebenswürdige Charme des Unvollständigen wirkte trotzdem.

Hamburg. Eine Händel-Oper zu inszenieren, das heißt normalerweise: Bühnenzauber satt. Ein Barock-Orchesterchen braucht es, das aus dem Graben heraus Funken sprühen lassen muss; man hat eine Handlung zu erzählen, die in aller Regel derart verquast ist, dass das Publikum eher früher als später entspannt und ohne allzu schlechtes Gewissen den Überblick verlieren kann, wer hier mit wem oder gegen wen und warum eigentlich oder wie oft denn noch. Aber da ist ja immer diese sensationell eingängige Musik, die alles wirklich Wichtige mit Noten erzählen kann, die jede Herzensregung entlarvt, jede Gefühlsvolte mitmacht. Alles in allem etwa wie ein Konzert von Elton John, nur mit deutlich dezenteren Bühnen-Outfits.

Vom zwei Stunden längeren Original nur 90 Minuten übrig

Eine Händel-Oper wie „Alcina“, nun also – unfreiwillig – ganz ohne die meisten dieser Zutaten, das muss man sich trauen. Keine Zauberinnen-Insel als Szene, keine Umarmungen oder wenigstens Berührungen möglich. Aber möglichst weite Sicherheitsabstände, sogar im obligatorischen Ensemble-Finale bleiben alle Mitwirkenden auf Distanz und an den Bühnenrändern. In gerade einmal zwei Probe-Wochen stellten Intendant Marius Adam und Lutz Hoffmann im Allee-Theater eine Version auf seine Bühne, die fast noch weniger war als eine konzertante Aufführung: Im Souterrain ein Streichquartett, das sich tapfer anstrengte, die Personal-Defizite zu überspielen.

Hoffmanns Plot-Erzählungen, in kleinen Portionen als Rezitativ auf Beinen vom Spielfeldrand aus hereingeplaudert, übernahmen den Schnelldurchlauf, weil vom zwei Stunden längeren Original nur 90 Minuten übrig und etliche Arien auf der Strecke blieben. Dazu historische Kostüme, zwei handliche Requisiten und etwa zweieinhalb Video-Einblendungen: ein Bilderbuch-Inselpanorama als Einstimmung, einen Sternenhimmel, ein computeranimierter Tränchen-Schauer bei Alcinas „Sì: son quella“ und grüner Wald für Ruggieros Hit „Verdi prati“.

Raumfüllende Präsenz und ausdrucksstarke Geschmeidigkeit

Das zentrale Regiekonzept in diesem Fast-Nichts war ein gefühlter Park-Platz für die sechs Charaktere, mittig auf dem Bühnenboden. Nur Standbein, kein Spielbein weit und breit. Doch das energische Dennoch war anrührend. Vor allem, weil das Ensemble sich mächtig reinhing, um einen Wesens-Kern von Oper zu zeigen – die Fantasie – und nebenbei auch das Statuenhafte ihrer Bühnencharakter zu übertönen.

Raumfüllende Präsenz und ausdrucksstarke Geschmeidigkeit machten Svenja Schicktanzs Auftritte als Titel-Zauberin zu den Höhepunkten dieses Händelchen-Abends. Auch Natascha Dwulecki als deren Schwester Morgana und der warme Mezzo von Felina Knabe (Bradamante) holten viel Schönes aus ihren Rollen heraus. Joël Vuiks Ruggiero und Robert Elibay-Hartog, als Bariton eingesprungen in der Tenor-Partie des Oronte, hörte man hin und wieder an, dass es für Sänger einfachere Aufgaben gibt als Händel. Aber der liebenswürdige Charme des Unvollständigen wirkte trotzdem und gerade deswegen.

„Alcina“: Weitere Termine bis 22. November, www.alleetheater.de

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