Film „Emily“

Neu im Kino: Eine Außenseiterin geht ihren Weg

| Lesedauer: 4 Minuten
Peter Zander
Emily Brontë (Emma Mackey) musste ihren Roman „Sturmhöhe“ unter männlichem Pseudonym veröffentlichen.

Emily Brontë (Emma Mackey) musste ihren Roman „Sturmhöhe“ unter männlichem Pseudonym veröffentlichen.

Foto: Wild Bunch

Die Filmbiografie „Emily“ erzählt die Geschichte der Schriftstellerin Emily Brontë, berühmt geworden durch ihren Roman „Sturmhöhe“.

Irgendwann muss er unweigerlich kommen, der Moment, in dem das Genie sich an den Schreibtisch setzt. Und die Feder dann übers Papier kratzt. All die Filmbiografien über Literaten sollte man einmal danach bemessen, wann dieser Moment eintritt.

In „Emily“, dem Biopic über Emily Brontë, geschieht das ziemlich spät. Ihre Gedichte sind immer schon da, sind in ihrem Kopf und damit in der Welt. Mit dem mechanischen Aufschreiben hält man sich nicht lange auf. Viel wichtiger ist, wie diese poetische Ader gelebt und erlitten wird.

Brontë-Schwestern bieten reichlich Stoff fürs Melodram

Und diese Konstellation übt ja nach wie vor einen fast mythischen Reiz aus: wie in einem Pfarrhaus in der tiefsten Provinz von Yorkshire gleich drei Schwestern, Emily (Emma Mackey), Charlotte (Alexandra Dowling) und Anne Brontë (Amelia Gething), mit ihrem ebenfalls musisch veranlagten Bruder Branwell (Fionn Whitehead) einen poetischen Club gründen. Sich eine alternative Fantasiewelt ersinnen. Wie alle Schwestern zu Literatinnen werden – wo das zu Beginn des 19. Jahrhunderts schon für eine Frau allein schwer genug war. Und wie die Damen allesamt, wie ihr drogensüchtiger Bruder, früh verstarben. Das bietet reichlich Stoff fürs Melodram.

Und ist deshalb auch schon zweimal verfilmt worden. 1946 von Curtis Bernhardt in „Devotion“ mit Ida Lupino, Olivia de Havilland und Nancy Colman. Und 1979 von André Téchiné in „Die Schwestern Brontë“ mit Isabelle Adjani, Marie-France Pisier und Isabelle Huppert. Immer geht es da viel um Verbundenheit und Geschwisterliebe, aber auch um Rivalität, Neid auf das Talent der anderen und Eifersucht um die Gunst des kaltherzigen Vaters. Und stets sind die Rollen dabei gleich verteilt: Anne, die Jüngste, wird immer übersehen, Charlotte, die Älteste, ist die Puritanischste und Produktivste, Emily aber, die nur einen, aber den berühmtesten aller Brontë-Romane verfasst hat, „Sturmhöhe“, ist die Emotionalste, Rebellischste. Der Fokus auf ihr. So auch hier.

Mit den Fakten geht die Regienovizin recht frei um

„Emily“ ist das Regiedebüt von Frances O’Connor, die man als Schauspielerin aus Literarturverfilmungen wie „Mansfield Park“ und „Madame Bovary“ kennt und die damit eine Spezialistin ist für die Zeit, in der Frauen in ein gesellschaftliches Korsett geschnürt waren.

Wie Bernhardt und Téchiné geht auch sie sehr frei mit den Fakten um: Emily hat „Sturmhöhe“ eben nicht, wie hier behauptet wird, unter ihrem Namen veröffentlicht, sie musste dies unter dem männlichen Pseudonym Ellis Bell tun. Charlotte setzte sich nicht erst nach dem Tod Emilys hin, um ihren ersten Roman zu schreiben. Der erschien schon ein Jahr zuvor.

Und dann wird Emily hier eine Liebesgeschichte mit dem Hilfsvikar des Vaters, Weightman (Oliver Jackson-Cohen), angedichtet, der eher Anne zugetan war. Während Emily als schroffe und abweisende Person galt, die keine Freundschaften schloss. Sollte ihr Roman über eine unglaubliche Liebe gar Ausdruck einer nie gelebten, aber stets ersehnten Passion sein? Auf diese Frage lässt sich auch dieser Film nicht ein.

Was die Regisseurin reizt, sind die Leerstellen dieser Biografie – und was Emily Brontë auch für heutige junge Frauen interessant macht. Wie sie als völlige Außenseiterin zu sich selbst fand und unbeirrt ihren Weg ging.

Danach möchte man sofort „Die Sturmhöhe“ lesen

Mit großartigen Bildern der spröden, kargen Landschaft und der spröden wortkargen Menschen, die darin leben, gelingt O’Connor eine ganz sinnliche Annäherung. Emma Mackey hat als Emily nicht viel zu sagen, hat aber einen eindringlichen Blick, in dem viel Ungesagtes transparent wird. Und durch den modernen Minimal-Music-Soundtrack gibt es einen starken Bruch zu dem Kostümfilm. Ein Historiendrama, das so ganz heutig wirkt.

Nicht wenige könnten dadurch animiert werden, mal wieder, oder endlich einmal, „Sturmhöhe“ zu lesen.

„Emily“ 130 Minuten, ab 12 Jahren, läuft im Holi und Koralle

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