Fürth/Oradour. Es ist wohl einer der ungewöhnlichsten deutschen Kinofilme des Jahres: In “Mademoiselle Marie“ wird an das Massaker der Nazis im französischen Oradour erinnert - in Form eines Musicals.

Es ist der 10. Juni 1944 gegen 14 Uhr, als das Massaker im französischen Oradour beginnt: Die deutsche SS-Panzerdivision "Das Reich" macht den Ort dem Erdboden gleich.

Die Nazis sperren Kinder und Frauen in die Dorfkirche ein, danach zünden sie das Gotteshaus an. 642 Dorfbewohner kommen ums Leben, nur sechs Menschen überleben.

Das Massaker von Oradour gilt in Frankreich bis heute als Symbol für die Kriegsverbrechen der Nazis - scheinbar alles andere als eine Geschichte, die für ein Musical taugt. Der fränkische Autor Fritz Stiegler sah das anders. Als er die Pläne für sein Weltkriegs-Musical "Mademoiselle Marie" vor zwei Jahren öffentlich machte, gab es Bedenken von französischer Seite. Die anfänglichen Skeptiker sind mittlerweile jedoch zu großen Unterstützern geworden.

Im vergangenen Jahr feierte das Musical auf einer Freilicht-Bühne im mittelfränkischen Cadolzburg Premiere. Mehr als 14 000 Zuschauer sahen das Stück in der Open-Air-Version, mehrmals musste verlängert werden. Am 13. September kommt nun die Filmversion über die Geschehnisse ins Kino.

Im Mittelpunkt steht eine Liebesgeschichte zwischen der fränkischen Bäuerin Marie und dem französischen Kriegsgefangenen François, der auf ihrem Hof Arbeitsdienst verrichten muss, nach Kriegsende aber freiwillig bleibt. Als sie mit ihm später in seine Heimat Oradour reist, erfährt sie von den Gräueltaten der Nazis. Ihre Liebe wird auf eine harte Probe gestellt - zumal ihr eigentlicher Mann Hans plötzlich aus russischer Kriegsgefangenschaft heimkehrt.

"Anfangs gab es ziemliche Vorbehalte in Oradour gegen das Projekt", erinnert sich Autor Stiegler. "Man hörte dort das Wort Musical und dachte an etwas Lustiges."

Eine französische Delegation besuchte 2015 die Musical-Aufführung. Darunter waren Philippe Lacroix, der Bürgermeister von Oradour, und Robert Hébras, einer von zwei noch lebenden Zeitzeugen des Massakers. Am Ende des Stücks stand Hébras von seinem Stuhl auf, klatschte begeistert Beifall und reichte der Hauptdarstellerin die Hand.

Lacroix und Hébras haben die Dreharbeiten in Ordaour erst möglich gemacht - erstmals durfte sogar eine Film-Drohne über die Ruinen fliegen, die noch an das Massaker vor 72 Jahren erinnern. Stiegler wertet das als "großen Vertrauensbeweis".

Vor nicht allzulanger Zeit sei es auch noch undenkbar gewesen, dass ein deutscher Chor in Oradour auftritt. Jetzt gebe es aber bereits Pläne, die Bühnenfassung von "Mademoiselle Marie" im kommenden Jahr in Oradour mit dem Ensemble der Burgfestspiele Cadolzburg aufzuführen.

"In dem Film wird deutlich, dass die Liebe über die Grenzen hinausgehen kann", sagt Bürgermeister Lacroix. "Ich glaube, dass Frankreich und Deutschland ein Vorbild für andere Länder auf der ganzen Welt sind: zwei Länder, die sich bekämpft haben und nun Freunde geworden sind."

Genau diese Botschaft ist es letztlich, die Fritz Stiegler und Komponist Matthias Lange mit ihrem fränkischen Heimat-Musical transportieren wollen.

Im Film haben Angehörige von Opfern des Massakers kleinere Rollen übernommen. Die etwa 80 Darsteller aus Deutschland und Frankreich verzichteten auf eine Gage. Und wie das knapp dreistündige Bühnenstück enthält auch die 97 Minuten lange Filmversion viele Gesangsstücke, gepaart mit Musik, komponiert von dem Musical-Experten Matthias Lange, eingespielt von den Nürnberger Symphonikern.

Der Film endet mit einer kurzen Dokumentation, in der Robert Hébras die Schauspieler durch die Ruinen von Oradour führt und erzählt, was sich am 10. Juni 1944 hier zutrug. "Ich bekomme jedes Mal Gänsehaut, wenn ich die Filmszenen sehe", sagt Stiegler im Schnittraum der Fürther Produktionsfirma telefilm.

"Mademoiselle Marie" ist zunächst in zehn Kinos in Franken zu sehen. Regisseur Peter Ponnath sagt jedoch: "Wir hoffen, dass wir bundesweit Kinos finden, die den Film ins Programm nehmen."