In der Gesellschaftsgroteske „König von Deutschland“ gibt der Hamburger Komiker Olli Dittrich einen arglosen Durchschnittsmann. An seiner Seite: Veronica Ferres.

Vielleicht wird eines Tages die Überwachung des sogenannten kleinen Mannes so normal geworden sein, dass ihm noch im finalen suizidalen Moment irgendjemand ein auf ihn zugeschnittenes Angebot vors Gesicht hält. Und ihm doch noch den Traum vom schöneren Leben verkauft. Wir sehen also Olli Dittrich im schmucklosen Angestellten-Anzug, bereit zum tödlichen Absprung in die Tiefe. Doch der lange Arm des Marketings ist ihm auf den Fersen.

Thomas Müller, so heißt der Durchschnittsmann, hat alles, was die Statistik als deutschen Mittelwert herausgefunden hat, von Körpergröße übers Lieblingsessen bis zu den Sätzen im Vorstellungsgespräch. Müller ist das totale Norm-Ideal, das Delphische Orakel der Marktanalyse, wobei „König von Deutschland“, das Kino-Debüt David Dietls die Realität nur ein ganz klein wenig weiterdreht.

Thomas Müller weiß zunächst noch nichts von seiner Überwachung, ahnt nicht, dass sein Verpackungsmüll und seine Wohnung ausspioniert werden, also sieht er lange keinen Grund zur Rebellion. Bei den Einkaufstouren mit seinem neuen Freund haben sein Wein- und sein Möbelgeschmack schmeichelhaft Gewicht, sein politischer Wille geschehe, seine Durchschnittlichkeit regiere, und das Einfamilienhaus ist auch noch nicht abbezahlt. Bis hin zur soziokulturellen Ausstattung in Form der blonden Gattin (Grundschullehrerin Sabine, gespielt von Veronica Ferres) und des halbwüchsigen Sohnes Alexander (Jonas Nay; spielt in einer Band), ja bis hin zu den feuchten Träumen (Krankenschwester Ute, gespielt von Katrin Bauerfeind): Sein Begehren ist in aller Unschuld schablonenhaft.

Dass dieser Jedermann als Filmcharakter aber im Unterschied zu den Nebenrollen gerade nicht zur Karikatur wird, die man sich allzu leicht vom Leib halten könnte, liegt außer an den nur leicht surrealen, dadurch aber umso beklemmenderen Rahmungen und Räumen vor allem an Dittrichs sorgfältiger, liebevoller Darstellung eines arglos Übertölpelten. Wem sollte man die Abstiegsangst und Aufstiegshoffnung der Mittelschicht auch besser abnehmen als dem Alleskünstler-Überflieger und Imbissbuden-Diogenes „Dittsche“?

Konsequent naiver Ansatz

Sein fahler Angestellter ist ein verhinderter Idylliker mit revolutionärem Potenzial, das in dem Moment zutage tritt, als er seine Existenz bedroht sieht und seine Möglichkeiten als kleiner Diktator entdeckt: Dem ganzen Land verordnet er vegane Ernährung, eben weil er es kann. Doch das Problem liegt auf der Hand. Er ist ja nicht blöd: Wie soll er sich noch durchschnittlich verhalten, klagt er, wenn er genau weiß, dass er so durchschnittlich ist? Ein hilfloser Befreiungsversuch.

Dietls Film ist anzumerken, dass es den Regisseur von seiner Idee, einen gewöhnlichen Mann in der Midlife-Crisis zu zeigen, im Laufe der Drehbucharbeit unwiderstehlich davontrug hin zu einer surrealen Gesellschaftsgroteske im Geiste von Hans Weingartners „Free Rainer“ – wenn auch ohne dessen angreifbare Parallelen zwischen heutiger Werbung und Nazi-Propaganda.

Seinen naiven Ansatz spielt Dietl konsequent durch: Wie durchschnittlich sieht ein Ausbruchsversuch aus, wenn er vom Durchschnitt abweichen will? Mit einer falschen Antwort in der Quiz-Show „König von Deutschland“ will Müller den Absprung schaffen, einer Antwort, die „nicht mehr ganz normal“ ist, wie Gattin Sabine sagen würde, für ihn aber ist es die einzig wahre.

Bewertung: annehmbar

„König von Deutschland“ D 2013, 97 Min., ab 6 J., R: David Dietl, D: Olli Dittrich, Veronica Ferres, Jonas Nay, Wanja Mues, täglich im Blankeneser, Cinemaxx Dammtor, Passage u. UCI Othmarschen-Park; www.koenig-derfilm.de