Das Drama „Tango libre“ wechselt zu oft die Erzählperspektive und lässt leider viele Fragen offen. Der Geschichte von drei Männern und einer Frau hätte mehr Fokus gut getan.

Zwei völlig gegensätzliche Typen von Mann stellt „Tango libre“ in seinen ersten Minuten vor: Da sind zum einen zwei Verbrecher auf der Flucht, umgeben von Rauch und fliegenden Geldscheinen, der eine (Jan Hammenecker) hat eine Pistole in der Hand und offenbar gerade auf einen Polizisten geschossen, der andere (Sergi Lopez) liegt verletzt am Boden. Die Situation scheint aussichtslos und endet ganz offenbar mit Gefängnis für die beiden. Und dann gibt es Jean-Christophe (François Damiens) in seinem Auto, der beim Anhalten an einem gottverlassenen Bahnübergang sorgfältig ein Stück zurücksetzt, als er bemerkt, dass er den Markierungsstreifen um wenige Zentimeter überfahren hat. Das Regelnmissachten ist eben nicht jedermanns Sache.

Weil wir im Kino sind, kommen diese drei Männer wegen einer Frau zusammen: Alice (Anne Paulicevich) taucht eines Tages im wöchentlichen Tangokursus von Jean-Christophe auf. Und er, der sich offenbar auch beim Tanzen so anstellt wie beim Autofahren und allzu sehr auf die Regeln achtet statt sich dem Fluss der Dinge hinzugeben, bekommt sie als Partnerin zugewiesen. Alice ist zwar die Neue im Kursus, im Tangotanzen aber sehr erfahren. Was bleibt Jean-Christophe anderes übrig, als hingerissen zu sein. Am nächsten Tag – wie es sich im Kino eben immer so fügt – muss er eine verwirrende Entdeckung machen: Jean-Christophe arbeitet in einem Gefängnis, und siehe da, Alice taucht auf und besucht einen Insassen. Wenig später die noch verwirrendere Entdeckung: Sie besucht noch einen weiteren Insassen. Und damit nicht genug, sie hat zu beiden Männern ein erotisch recht aufgeladenes Verhältnis.

Dies ist das Konzept und zugleich die Handlung des Films, den Hauptdarstellerin Anne Paulicevich nach einer eigenen Idee zusammen mit Philippe Blasband verfasst hat: eine Frau zwischen drei Männern, nein eigentlich sind es vier, denn es kommt noch ihr pubertierender Sohn (Zacharie Chasseriaud) dazu. Leider kann sich der Film für keine Perspektive entscheiden, und so schweift der Blick mal zu den Männern im Gefängnis, mal zu Alice und ihrem Jungen, mal zu Jean-Christophe und seinen stillen Beobachtungen. Was sich zwischen diesen Figuren abspielt, bleibt deshalb oft pure Behauptung. Weder weiß man so richtig, was die Freundschaft der beiden Männer im Gefängnis so unverbrüchlich macht, dass sie sich friedlich eine Frau „teilen“, noch versteht man, warum Alice ausgerechnet im Tangotanzen Entspannung sucht. Am ehesten kann man noch die Faszination des braven Wärters Jean-Christophe nachvollziehen, der gleichermaßen von der schönen Frau wie von der Virilität ihrer Partner angezogen scheint.

Aber vielleicht ist es auch das falsche Konzept, diesen Film als psychologisches Drama begreifen zu wollen. Denn letztlich handelt er von Fantasien, die sich überkreuzen: die von der Frau, die bewundert werden will, die vom Tangotanz, der die üblichen Geschlechtervorstellungen von männlich und weiblich transzendiert, und die vom Gefängniswärter, der endlich lernen will, Regeln auch mal zu brechen.

Bewertung: annehmbar

„Tango libre“ Belgien/Luxemburg 2012, 105 Min., ab 6Jahren, R: Frédéric Fonteyne, D: François Damiens, Sergi Lopez, Jan Hammenecker, täglich im Koralle, Passage, Zeise; Infos im Internet unter: www.tangolibre-derfilm.de