Charlotte Rampling trägt den Psychofilm „I, Anna“ von Barnaby Southcombe. Ohne sie wäre der ambitioniert mit Genres und Ästhetik spielende Streifen völlig missraten.

Die Fassade ist glänzender als der Inhalt. „I, Anna“, hat nicht nur einen etwas kryptischen Titel, sondern auch eine ambitionierte Ästhetik. Regisseur Barnaby Southcombe führt uns in eine kalte Welt aus Glas und Stein, aus Hochhäusern und grauem Beton. Mittendrin die wundervolle Charlotte Rampling — übrigens die Mutter des Regisseurs — als verwitwete Anna. Als Profi in trostlosen Single-Treffs bändelt sie mit einem besonders zweifelhaften männlichen Exemplar an. Und da reißt der Erzählfaden auch schon.

Es folgen Zeitsprünge, Rückblenden, Visionen. Annas Eroberung liegt erschlagen im Wohnzimmer. Sein in Drogengeschäfte verwickelter Sohn ist auf der Flucht. In dieser frostigen Umgebung trifft Gabriel Byrne als schlecht gelaunter Kommissar auf Anna. Fortan kreisen seine Gedanken nicht nur um die Leiche, sondern auch darum, wie Anna ein wenig Licht in sein deprimiertes Leben bringen kann, das der frisch Getrennte in der Anonymität eines Hotelzimmers verbringt. Die Obsession, die er für sie hegt, lässt ihn bald vergessen, dass sie auch eine Verdächtige ist.

Auf sehr britisch zurückhaltende Weise spielt der Regisseur mit Film-Noir-Elementen. Allerdings lässt er das Drehbuch auf Basis des Thrillers „I, Anna“ von Elsa Lewin recht orientierungslos zwischen Psychostudie, fast unmöglicher Liebesgeschichte und Thriller hin- und herwabern. Der Zuschauer reimt sich schnell zusammen, dass Anna eine Frau mit Vergangenheit ist.

Der Film wäre völlig missraten, wenn Charlotte Rampling als Frau im Herbst ihres Lebens, durchgerüttelt vom wenig mildtätigen Schicksal, nicht sein unerschütterliches Zentrum bilden würde. Charakterdarsteller Byrne degradiert sie fast zur Nebenfigur.

Regisseur Southcombe hat sich bislang mit Fernsehfilmen einen Namen gemacht. Sein Stoff ist deutschen Kinogängern aber nicht ganz unvertraut. Nico Hofmann hat ihn 1998 mit Götz George und Corinna Harfouch unter dem Titel „Solo für Klarinette“ verfilmt. Man muss „I, Anna“ zugutehalten, dass er sich traut, uns die Träume und Sehnsüchte von Menschen jenseits der Lebensmitte vorzuführen. Und das nicht in einer zwanghaft gute Laune verbreitenden Seniorenkomödie.

Bewertung: annehmbar

„I, Anna“ GB/D/F 2012, 93 Min., ab 16 J., R: Barnaby Southcombe, D: Charlotte Rampling, Gabriel Byrne, Hayley Atwell, Eddie Marsan, täglich im Holi, Koralle; www.i-anna-derfilm.de