Steven Spielbergs historischer Politthriller ist ein Meisterwerk. Sally Field und Tommy Lee Jones setzen glanzvolle Kontrapunkte.

Der Film trägt seinen Namen. Doch wer eine monumentale Biografie des 16. US-Präsidenten erwartet, ein patriotisches Bürgerkriegs- und Sklavenbefreiungs-Epos, wird enttäuscht sein. "Lincoln" ist nicht Steven Spielbergs Antwort auf "Vom Winde verweht".

"Lincoln" ist ein leiser und weiser Politthriller, ein lehrreicher Blick in das Getriebe der US-amerikanischen Demokratie während der schlimmsten Krise der Nation. Nur die kurze Eingangssequenz zeigt den Bürgerkrieg in seiner elenden Brutalität - als blutiges, schmutziges Handgemenge, das an das D-Day-Gemetzel von "Saving Private Ryan" erinnert. Dann verzichtet Regisseur Spielberg auf Schlachtengetöse und schnelle Schnitte.

Der US-Präsident trickst und taktiert, um seine Ziele zu erreichen

In gemessenem Tempo erzählt er die letzten vier Monate im Leben Abraham Lincolns. Im Januar 1865 steht der Bürgerkrieg zwischen Nord- und Südstaaten vor seinem Ende. Der wiedergewählte Präsident treibt den zerstrittenen Kongress zu dessen historisch bedeutsamster Abstimmung: Mit dem 13. Verfassungszusatz soll die Abschaffung der Sklaverei besiegelt werden. Dafür braucht Lincoln eine Zweidrittelmehrheit im Repräsentantenhaus. Jeder Tag und jede Stimme zählen. Denn der Abstimmungssieg muss unbedingt vor der absehbaren militärischen Niederlage der Konföderierten erfolgen, um überhaupt eine Mehrheit dafür zu gewinnen. Lincoln trickst und taktiert, er dehnt und beugt das Gesetz, um beharrlich ein größeres Ziel zu erreichen: die Freiheit aller Menschen in den USA.

Mit dem engen zeitlichen Fokus gelingt es Regisseur Spielberg und Drehbuchautor Tony Kushner, die Persönlichkeit Lincolns im entscheidenden Moment seines Lebens so intim und facettenreich aufzublättern, wie ein breit angelegtes Epos es nie vermocht hätte. Spielberg zeichnet kein Porträt eines überlebensgroßen Helden, sondern einen ausgezehrten, müden, ironischen und manchmal nervtötenden Präsidenten, einen schwermütigen Ehemann und Vater, der seinen ältesten Sohn nicht an die Front ziehen lassen will.

Die Idealbesetzung für diese komplexe Rolle ist ausgerechnet ein britisch-irischer Schauspieler, der mit Hawkeye in "Der letzte Mohikaner", Bill the Butcher in "Gangs of New York" und Daniel Plainview in "There will be Blood" bereits drei US-Archetypen verkörpert hat: Daniel Day-Lewis übertrifft sich erneut selbst und schlüpft geradezu subatomar in seine Figur. Er spielt nicht Lincoln. Er lebt Lincoln. Er macht uns staunend glauben, dass Lincoln genau so gewesen sein muss. Mehr Annäherung geht nicht. Dieser Auftritt ist eine Sternstunde des Kinos und sollte Day-Lewis nach dem Golden Globe nun auch seinen dritten Oscar sichern.

Sally Field als Lincolns eigenwillige Frau Mary und Tommy Lee Jones als radikaler Sklavereigegner Thaddeus Stevens setzen glanzvolle Kontrapunkte in einem durchweg überzeugenden Ensemble. Die akribisch recherchierten Kulissen von Produktionsdesigner Rick Carter taucht Spielbergs langjähriger Kameramann Janusz Kaminski in passende erdige Töne und gedimmtes Licht, ein Ambiente, wie es Gore Vidal in seinem biografischen Roman "Lincoln" beschrieb. Übrigens dient die historische Altstadt von Richmond im Film als Washington - ausgerechnet die Hauptstadt der Konföderierten. Eine Ironie der Geschichte, die Abraham Lincoln bestimmt gefallen hätte.

Bewertung: überragend

"Lincoln" USA 2012, 151 Min., ab 12 J., R: Steven Spielberg, D: Daniel Day-Lewis, Sally Field, Tommy Lee Jones, täglich im Abaton (OmU), Blankeneser, Cinemaxx Dammtor, Passage, UCI Wandsbek; www.lincoln-der-film.de