Der junge Filmemacher Cary Fukunaga hat Charlotte Brontës Roman “Jane Eyre“ mit hochkarätiger Besetzung neu verfilmt.

Hamburg. Wenn das mal kein gutes Omen war. Beim Filmfest Hamburg lief "Jane Eyre" im ausverkauften großen Saal des Passage-Kinos. Nach dem Abspann gab es viel Applaus für Regisseur Cary Fukunaga, der sich noch den Fragen des Publikums stellte. Nicht schlecht für einen jungen Regisseur, der einen Roman aus dem 19. Jahrhundert verfilmt hat. Morgen ist Kinostart. Der 34-Jährige hat den 164 Jahre alten Roman von Charlotte Brontë auf erfrischende Weise umgesetzt und kann sich mit Mia Wasikowska, Michael Fassbender und Judi Dench auf hervorragende Darsteller verlassen. Wie hat er das geschafft?

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Cary Fukunaga ist ein quecksilbriger Regisseur und ein Überflieger. Der Amerikaner, der seinen Vornamen der Tatsache verdankt, dass seine Mutter sich in Cary Grant verguckt hatte, gewann für seinen Kurzfilm "Victoria para chino" gleich den Studenten-Oscar. Kein schlechter Start, dem ein gelungenes Langfilm-Debüt folgen sollte. In "Sin Nombre" erzählt er von illegalen Einwanderern, die versuchen, sich von Mexiko in die USA durchzuschlagen. Dazu drehte er mit bis zu 100 Komparsen auf Dächern fahrender Züge. Rückblickend schildert er diese Szenen als "absoluten Horror". Aber auch für diesen Film gewann er Preise.

Von dort ins viktorianische England ist es geografisch und historisch ein großer Sprung. Der Roman "Jane Eyre" erzählt von einer jungen Frau, die als Waisenkind aufwächst und viele Ungerechtigkeiten erleidet. Endlich findet sie eine Stelle als Hauslehrerin. Der launische Besitzer Rochester verhält sich anfangs abweisend, dennoch besteht zwischen beiden eine Seelenverwandtschaft. Sie verliebt sich in ihn, will aber seine Angebote zunächst nicht akzeptieren. Dann wird Rochester von einem Unglück heimgesucht.

Blass und eindringlich spielt Mia Wasikowska (die man aus Tim Burtons quietschbunter "Alice im Wunderland" kennt) diese Jane. Die Chemie zwischen ihr und Michael Fassbender, der den Unglück verbreitenden und selbst unglücklichen Rochester spielt, stimmt. Fassbenders eindringliche Leistung im IRA-Drama "Hunger" brachte ihm seinen Part ein. Die Australierin und der Ire mussten heftig an ihrer Aussprache arbeiten, um den historischen nordenglischen Dialekt in dem Liebesdrama glaubhaft zu transportieren. Die düstere Atmosphäre und knackigen Dialoge zählen zu den Stärken des Films.

Charlotte Brontës Mischung aus Elementen des Schauerromans, unglücklicher Liebe und einer integren, trotz aller Schwierigkeiten aufrechten Protagonistin hat viele Leser gewonnen. Kein Wunder, dass sich Filmemacher immer wieder diesen Roman vornahmen. Fukunaga kennt seit Kindheitstagen die Verfilmung von Robert Stevenson mit Joan Fontaine und Orson Welles, wollte aber eigene Akzente setzen. Er recherchierte vor Ort, besuchte das Wohnhaus der Brontës in der Grafschaft Yorkshire, wo Charlotte mit ihren ebenfalls als Schriftstellerinnen arbeitenden Schwestern Emily und Anne lebte. Schreibende Frauen waren damals unüblich, die Schwestern veröffentlichten ihre Romane deshalb zunächst unter männlichen Pseudonymen. "Ich habe ihre Handschrift und ihre Kleider gesehen und gestaunt, wie klein sie war. Der Vater, der alle seine Kinder überlebt hat, war ein frühes Mitglied der Arbeiterbewegung. Für die Zeit und den Ort, an dem sie lebten, waren die Brontës Revolutionäre. Das alles hat mein neues Verständnis des Romans beeinflusst. Deshalb habe ich auch einige Kommentare zur Klassengesellschaft in die Dialoge eingebaut."

Zunächst galt es, einen schaurigen Schauplatz für Thornfield Hall zu finden. Die Filmemacher griffen auf den prächtigen Herrensitz Haddon Hall in Derbyshire zurück, in dem auch schon die Jane-Austen-Verfilmung "Stolz und Vorurteil" mit Keira Knightley gedreht wurde. "Ich bin oft dort gewesen, um es mir bei unterschiedlichen Lichtverhältnissen anzusehen Es hat etwas Magisches, wenn man nachts mit einer brennenden Kerze darin herumläuft. Es ist ein erstaunliches Haus. Ich hätte es am Ende gern behalten, aber sie haben es mir nicht gegeben." Trotz der Magie waren es aber erneut schwierige Dreharbeiten. "Wir standen oft am Rande des Desasters", erinnert er sich. Ein Grund war der große Zeitdruck.

Der historische Kontext forderte seinen Tribut. "Wir hatten lange Dialoge vor schwierigen Hintergründen zu drehen, bei denen es auch noch komplexe Kamerabewegungen gab. Haar, Make-up und Garderobe dauerten oft Stunden. Wir haben manchmal nur zehn Einstellungen pro Tag geschafft. Bei meinem letzten Film waren es bis zu 40." Außerdem spielte das sonst zuverlässig schlechte Wetter in England nicht mit. "Wir wollten, dass es düster, grau und unwirtlich sein sollte. Leider schien fast die ganze Zeit die Sonne. Wir mussten in der Postproduktion alles verdunkeln und Wolken einfügen."

Wie Fukunaga "Jane Eyre" gestaltet hat, macht neugierig auf seine zukünftigen Filme. Er jongliert gerade mit drei Projekten. Ein Musical ist dabei, ein Drehbuch über den Zugüberfall während des Amerikanischen Bürgerkriegs, der den Hintergrund für Buster Keatons Film "The General" bildete, und ein Science-Fiction-Film, in dem es um unerwiderte Liebe und Attentäter geht. Klingt ziemlich verrückt. Aber der Mann weiß, was er macht. Von "Jane Eyre" hat er einen Erkenntnisgewinn mitgenommen. "Ich will in Zukunft meine eigenen Drehbücher schreiben. Ein Skript ist im Grunde ein Schlachtplan, und wenn du den nicht selbst erstellt hast, malst du nur die Zeichnungen eines anderen aus."

Zunächst gilt es aber abzuwarten, wie die Zuschauer den Film annehmen. Fukunaga ist optimistisch und vergleicht Brontë mit Shakespeare. "Die Charaktere sind gut auserzählt. Sie sind zeitlos. Die Leidenschaften und die Hindernisse, denen sie begegnen, sagen uns auch heute noch etwas." Und wenn nicht? Er zuckt mit den Schultern. "Mein Gefühl sagt mir, dies wird nicht die letzte Version von 'Jane Eyre' sein."