Das Episoden-Drama “Gegengerade“ erzählt viele kleine Geschichten. Alle Filmfiguren verbindet die Verbundenheit mit dem FC St. Pauli.

Hamburg. Das Drama um den FC St. Pauli spielt sich ab sofort nicht nur auf dem Rasen, sondern auch im Kino ab. "Gegengerade" heißt der Film, der heute anläuft. Im Millerntor-Stadion und darum herum tummeln sich darin jede Menge bekannter Schauspieler: Mario Adorf, Moritz Bleibtreu, Dominique Horwitz und Wotan Wilke Möhring. Diese haben - wie fast alle anderen - in dem Episoden-Film kleine Rollen übernommen. Im Zentrum stehen drei Freunde. Das wohlhabende Muttersöhnchen Magnus (Timo Jacobs) zündet aus lauter Langeweile Autos an. Kowalski (Denis Moschitto) arbeitet auf dem Schrottplatz und gerät zu Unrecht in Verdacht, hinter den Bränden zu stecken. Und Arne (Fabian Busch) will über beide einen Film drehen.

Bei der "Gegengerade"-Premiere im Cinemaxx herrschte eine Atmosphäre wie bei einem Public Viewing. Fan-Gesänge erlebt das Kino am Dammtor sonst eher selten. Der Film entpuppte sich als schnelles, punkiges Drama, in dem die Schicksale der vielen Protagonisten nur kurz angerissen werden. Fast alle Wege aber kreuzen sich im Stadion. Trotzdem geht es nicht nur um Fußball. Moritz Bleibtreu spielt einen Immobilienhai, der voll auf Gentrifizierung setzt und verächtlich auf Altmieter herabblickt. Das war für einen Zuschauer mehr, als er ertragen konnte. "Das ist dein letzter Film", ereiferte er sich und drohte in Richtung Leinwand.

Der Film ist auf ungewöhnliche Weise in nur elf Monaten entstanden, ohne Filmförderungsmittel aus der Hansestadt, stattdessen mit der Unterstützung von Studio Hamburg, dem NDR und vielen Sponsoren. Gedreht wurde er unter anderem auf der Reeperbahn, in der Hein-Hoyer-Straße, auf dem Fischmarkt, im Jolly Roger und auf dem Blankeneser Bahnhof.

Und wie gewinnt man einen Star wie Mario Adorf für ein so ungewöhnliches Projekt? "Junge Regisseure trauen sich oft gar nicht, ihn anzusprechen", sagt Stephanie Blum, "wir haben das einfach getan, und er fand das Projekt super und hat sich danach sogar bei mir bedankt." Blum hat den Film produziert, Regie führte Tarek Ehlail, der vor drei Jahren "Chaostage" inszenierte.

"Gegengerade" überzeugt, wenn er stimmungsvolle Stadionimpressionen zeigt und mit einem mitreißenden Soundtrack unterlegt. Zu illustren Gastauftritten kommen Uwe Seeler, Karl Dall und Pornostar Vivian Schmitt.

Die Geschichte bleibt allerdings zu unentschieden. Problematisch sind einige Szenen mit recht drastischer Gewaltdarstellung von Fans und Polizisten. "Da musste ich einen ziemlichen Spagat machen, denn ich lehne Gewalt in jeglicher Form ab", sagt Blum. Die 29-Jährige, die zurzeit ihr juristisches Referendariat absolviert, erinnert aber daran, dass es in der Vergangenheit häufiger Schlägereien auf dem Paulinenplatz mit Fußballfans gegeben habe. "Und die Szenen mit der Polizei sind doch sehr marionettenhaft", findet sie selbst.

Die Produzentin hat vor zwei Jahren mit ihrem an der Hamburg Media School entstandenen Kurzfilm "Sores & Sirin" den Max-Ophüls-Preis gewonnen. "Gegengerade" ist ihr erster langer Film. Der Kiezklub ist für sie ein ganz besonderer Verein, "obwohl ich nicht in St.-Pauli-Windeln geboren wurde". Verhalten reagiert sie, wenn es um die sportliche Perspektive geht, deutlich optimistischer ist Regisseur Tarek Ehlail. Er bot im Kino jedem der 1000 Zuschauer eine Wette um einen Kasten Bier an, dass St. Pauli nicht absteigt.

Das wünscht sich natürlich auch St. Paulis Sicherheitsbeauftragter Sven Brux. Der Verein hat den Filmemachern das Stadion und den Vorplatz zur Verfügung gestellt und ist "offizieller Unterstützer" des Films. Trotzdem sieht Brux "Gegengerade" kritisch: "Über die Aussagen von Filmen kann man immer streiten. Für mich geht das in diesem Fall in Richtung künstlerisch ausgestalteter Trash. Die Handlung ist gerade in puncto Gewalt und Sex sehr überspitzt und erhebt keinen Anspruch in Bezug auf die Realität. Wenn jemand das nicht erkennt, kann so ein Film auch nach hinten losgehen. Das sollte aber nicht passieren."

Das ist ja auch vor 18 Jahren nicht geschehen, als Bernd Schadewald mit "Schicksalsspiel" den letzten großen St.-Pauli-Spielfilm drehte. Benno Fürmann, Nicolette Krebitz und Jürgen Vogel spielten damals mit. Spielfilme über den Kiezklub, die ohne Klischees auskommen, gibt es nur selten. Wie es anders geht, zeigt ein Beitrag, den der "Guardian" über den FC St. Pauli veröffentlicht hat. Marcel Theroux hat ein stimmungsvolles Video über den "sozialistischen Fußballklub in Hamburgs Rotlichtviertel" gedreht, das auf der Website der Zeitung zu sehen ist. Er bekam auf den Rängen eine Gänsehaut.

Gegengerade läuft in den Cinemaxx-Kinos Dammtor, Harburg, Wandsbek, im Zeise, 3001.