Und doch hat es der Regisseur nach “The Social Network“ wieder getan: Er verfilmte den Stieg-Larsson-Thriller “Verblendung“ mit Daniel Craig.

Sie solle sich doch bitte ordentlich betrinken, sagte Regisseur David Fincher der Schauspielerin Rooney Mara vor dem Casting zu seinem Film "Verblendung" - um zu zeigen, dass sie genauso abgerockt aussehen kann wie die Hackerin Lisbeth Salander. Und dann? Hat sich Mara die ganze Nacht übergeben. Bekam aber die Rolle. Dieser Mann muss verrückt sein. Oder?

Hamburger Abendblatt: Sie meinten unlängst, Filmemachen sei letztlich nur ein lächerlicher Zirkus. Gilt das auch für "Verblendung"?

David Fincher: Natürlich. Nehmen wir ein Beispiel: Mit unserer gesamten Ausrüstung fahren wir zwei Stunden lang zu einem Drehort, bauen den ganzen Kram dann mühselig auf, nur damit ich am Ende einem Schauspieler erkläre, dass er bitte jetzt so tun solle, als würde er diesen Mann dort hinten zum ersten Mal im Leben treffen. Und mach dir keine Sorgen wegen des Schnees, den fügen wir später ein ... Das ist doch alles kindisch.

Sie bestreiten also, dass Filme eine tief greifende, manchmal sogar lebensverändernde Wirkung haben können?

Fincher: Solche gibt es, keine Frage. "Clockwork Orange" ist ein erstaunliches Werk des Kinos, aber letztlich dreht es sich auch nur um ein paar Typen in weißen Overalls, die vorgeben, sie seien jugendliche Gewalttäter in einer futuristischen Welt. Egal wie überwältigend die Themen sind, wie groß die Relevanz eines Films ist: Im Kern geht es darum, dass sich ein paar Leute verkleiden. Und mein ganzes Bemühen als Regisseur ist darauf gerichtet, dass das Publikum uns das abnimmt.

Hatten Sie keine Bedenken, Stieg Larssons Buch noch einmal zu adaptieren, nachdem es schon eine schwedische Verfilmung gab?

Fincher: Ein befreundeter Produzent hatte mich auf den Roman schon vor fünf Jahren hingewiesen, als ich gerade "Benjamin Button" drehte. Damals war mir nicht danach, diesen Stein den Berg hochzurollen. Aber nachdem die schwedische Version herausgekommen war, tat die Studioleitung von Sony alles, um mich davon zu überzeugen, dass es Platz für zwei Filme gab.

Und den gibt es?

Fincher: Ja. Ich mag den schwedischen Film, aber er ist ganz anders als unserer. Wir lassen ihn stark im Ambiente der 40er-Jahre spielen, das war uns wichtig. Zugegebenermaßen hatten wir auch mehr Geld. Aber geben Sie zwei Regisseuren das exakt gleiche Drehbuch, dieselbe Besetzung, den identischen Drehplan, und Sie bekommen trotzdem zwei ganz unterschiedliche Filme.

Wobei Sie die Handlung nicht in die USA verlegten, sondern in Schweden blieben. Was war der Grund?

Fincher: Diese Geschichte ist spezifisch schwedisch. Einerseits ist das Land geprägt von einer enormen Weltoffenheit und einem Anspruch auf gesellschaftliche Gleichheit, andererseits gibt es hier eine große Isolation. Wenn du 30 Minuten aus Stockholm hinausfährst, dann liegen einzelne Häuser kilometerweit voneinander entfernt. Und die unglaublich harten Winter verstärken diese Vereinsamung noch. Du hast keine Ahnung, was für schreckliche Dinge hinter der nächsten Hügelkuppe passieren können.

Und dann fiel die große Hollywood-Maschinerie in diese stille Welt ein ...

Fincher: Im Gegenteil, wir kamen mit nur zehn amerikanischen Crewmitgliedern. Die anderen 80 waren Schweden. Wir kamen nicht hierher, um den Leuten zu zeigen, wie man Filme macht, wir haben uns auf die Gepflogenheiten vor Ort eingestellt. Hollywood-Filme werden nach einem Fließband-Prinzip hergestellt. Das hat etwas Beruhigendes, denn du kannst dir ausrechnen, welchen Output du am Tag erzielen wirst. Aber deshalb sehen auch die Filme häufig so aus, als wären sie am Fließband hergestellt. In Stockholm dagegen kannst du nicht einfach die Straße mit riesigen Wohnwagen blockieren und deine Kamerakräne aufbauen. Als wir in einem Mac-Store drehten, bekamen wir nicht mal eine Genehmigung, um den Bürgersteig davor zu blockieren.

Und deshalb haben Sie 150 Tage gebraucht, um "Verblendung" zu drehen?

Fincher: Der einzige Grund dafür war, dass man in Schweden acht oder neun Stunden Tageslicht hat - im Gegensatz zu zwölf oder 13 in Los Angeles. Entsprechend länger haben wir gebraucht.

Und weil Sie eine Einstellung gerne über 40-mal wiederholen lassen.

Fincher: Das ist nicht ausgeschlossen. Bei "Verblendung" haben wir manche Einstellungen allerdings nur einmal gedreht: als die Leute durch den Schnee gegangen sind. Da kannst du ja die Spuren nicht mehr beseitigen. Aber die Erfahrung aus meiner über 30-jährigen Karriere ist, dass man die besten Schauspieler der Welt haben kann - wenn die jedoch so tun sollen, als würden sie zu sich nach Hause kommen, dann brauchen sie in der Regel 20 Wiederholungen. Weil sie gelangweilt aussehen sollen. In der Realität ist man ja auch von dem gelangweilt, was man jeden Tag macht. Manche Schauspieler mögen so etwas nicht, aber die bin ich losgeworden. (lacht)

Bei "Verblendung" konnten Sie sich vor willigen Kandidatinnen kaum retten. Um die Rolle der Lisbeth Salander bewarben sich alle halbwegs namhaften Jungstars. Warum entschieden Sie sich für die weithin unbekannte Rooney Mara?

Fincher: Alle glauben, bei uns hätten 500 Leute an die Tür geklopft. Das war nicht der Fall. Das war ein normales Casting, bei dem wir uns ungefähr 25, 30 Kandidatinnen angesehen haben - die meisten davon, weil wir sie für geeignet hielten, und ein paar, die uns nicht passend erschienen, aber die wir trotzdem ausprobieren wollten. Zu denen gehörte Rooney Mara. In "The Social Network" musste sie das komplette Gegenteil von Lisbeth Salander verkörpern. Erst beim Casting habe ich gesehen, dass sie die Probleme lösen kann, die mit dieser Figur verbunden sind. Ein Vorteil war zudem, dass niemand sie kannte. Denn Salander ist jemand, der für das Publikum völlig undurchschaubar sein muss. Nur so kann unser Verkleidungsstück funktionieren.

Womit wir wieder beim Ausgangspunkt wären. Warum machen Sie Filme, wenn alles nur Zirkus ist?

Fincher: Es gibt definitiv Momente, wo ich mir diese Frage stelle. Es ist halt so, dass ich Filme machen wollte, seit ich acht bin. Mit 19 fing ich dann an, bei Werbespots und Musikvideos Regie zu führen. Das heißt, ich habe nichts anderes in meinem Leben gelernt. Und es gibt immer noch Aspekte beim Filmemachen, die mir Spaß bereiten.

Was sind das für Aspekte?

Fincher: Ich mag Kostümproben, die ganzen Vorbereitungen. Aber den eigentlichen Dreh hasse ich.

Warum?

Fincher: Ich hasse die Nervosität, den Stress. Die Tatsache, dass Leute ständig ganz gewöhnliche Antworten auf hoch komplizierte Fragen von mir wollen. Die meiste Zeit verbringe ich mit Menschen, die irgendeine Aufgabe abhaken und von ihrer Liste streichen wollen. Und wegen des allmächtigen Dollars muss ich Szenen drehen, zu denen ich noch nicht bereit bin. Zum Beispiel, weil wir ein Motiv nur in der ersten Drehwoche haben - zu einem Zeitpunkt, wo ich das Innenleben meiner Figuren noch nicht ausreichend kenne.

Trotzdem lassen Sie sich jetzt auf das aufwendigste Projekt Ihrer Karriere ein - eine 3-D-Neuverfilmung von "20 000 Meilen unter dem Meer".

Fincher: Weil ich einen Film für den 13-jährigen Jungen machen möchte, der ich einst war und der das Kino liebte. Denn diesen 13-Jährigen gibt es noch in mir. Als ich "Avatar" sah, hatte ich eine Gänsehaut. Noch nie war ich so tief in einen Film eingetaucht. Da habe ich begriffen: Es gibt immer einen Weg, etwas tausendmal Gesehenes neu zu zeigen.