Bettina Oberli hat Andrea Maria Schenkels düsteren Roman “Tannöd“ verfilmt - und den kreativen Freiraum der Regisseurin nicht genutzt.

Der Weg vom Dorf zum Hof führt durch den dunklen Wald vorbei an einem Kruzifix. Das Grundstück des Nachbarn ist in Sichtweite, aber weit genug entfernt, um einander in Ruhe zu lassen. Der Danner, dem der Tannödhof gehörte, war ein Ekel. Niemand im Dorf konnte den groben Kerl leiden; mit dem war nicht gut Kirschen essen. In dessen Angelegenheiten mischte man sich besser nicht ein, und eigentlich trauert ihm niemand hinterher. Auch wenn das niemand sagt angesichts der grausamen Tat: Die ganze Familie samt Kindern und Magd wurde mit der Spitzhacke erschlagen, und den Mörder haben sie nicht gekriegt.

Ein ungeklärtes Verbrechen, das sich 1922 im bayerischen Hinterkaifeck ereignete, diente Andrea Maria Schenkel als Inspiration für ihren Roman "Tannöd". Der Regionalkrimi schaffte es weit nach oben in die Bestsellerlisten; mehr als ein halbe Million Exemplare wanderten über die Ladentische des deutschen Buchhandels.

Die Schweizer Regisseurin Bettina Oberli ("Die Herbstzeitlosen") hat den Roman für die Leinwand adaptiert. Wie Schenkel verfrachtet auch sie die Handlung in die fünfziger Jahre, schafft jedoch eine neue Hauptfigur, die als Medium für die düsteren Vorkommnisse in der Dorfgemeinschaft fungiert. Julia Jentsch spielt Kathrin, die Tochter einer Magd, die früh ins klösterliche Internat gesteckt wurde und nun ins Dorf zurückkehrt, um die Bestattung ihrer toten Mutter zu regeln. Der grausame Mord im Tannödhof liegt erst ein paar Jahre zurück und ist immer noch im Gespräch. Vor allem bei Traudl (Monica Bleibtreu), die in der Mordnacht ihre jüngere Schwester als Magd zu den Danners gebracht hat und nun über deren Tod nicht hinwegkommt. Die etwas verwirrte Alte will keine Ruhe geben, verdächtigt diesen und jenen und vertraut genau wie die anderen Dorfbewohner der jungen Krankenschwester Kathrin ihre Erlebnisse an.

Oberli hält sich damit an die ungewöhnliche Erzählstruktur des Kriminalromans, der anhand von verschiedenen Zeugenaussagen immer neue Blicke aus verschiedenen subjektiven Perspektiven auf das Verbrechen wirft und den Tathergang auf einer zweiten Erzählebene bruchstückhaft zusammensetzt. Das funktioniert auf der Leinwand fast noch besser als im Roman, auch wenn Oberli in den Rückblenden allzu sehr auf die Suspense-Tricks des Horrorfilms setzt. Während die düstere Vergangenheit in kalten Winterbildern eingefangen wird, die auch im gut beheizten Kino frösteln machen, leuchtet die Gegenwart in hellen, freundlichen Frühlingsfarben, die jedoch die klaustrophobische Enge der Dorfgemeinschaft nur an der Oberfläche als ländliche Idylle erscheinen lassen. Darunter gärt es, denn jeder der Bewohner scheint seinen Anteil an der Ermordung der Außenseiterfamilie gehabt zu haben.

Ein Horrorkabinett dörflicher Bigotterie versammelt sich auf der Leinwand, das vom herrschsüchtigen Pfarrer bis zum groben Wirthausvolk im Film deutlich klischeebelasteter wirkt und alle Vorurteile gegenüber dem bayerischen Hinterwäldlerdasein bestätigt. Hier hätte Oberli von den Vorgaben der Buchvorlage abweichen und den Figuren mehr Facetten gönnen sollen. Statt die Zuschauer in die Irritationen der Geschichte hineinzuziehen, macht es die Regisseurin den Zuschauern mit ihrem schaurigen Anti-Heimatfilm viel zu leicht, sich vom ländlichen Horrorstadl abzugrenzen.

+++-- Tannöd D 2009, 97 Min., ab 12 J., R: Bettina Oberli, D: Julia Jentsch, Monica Bleibtreu, Volker Bruch, im Abaton, Holi, Koralle; www.tannoed.film.de