Recht und Gerechtigkeit sind nicht immer deckungsgleich - aus diesem Widerspruch bezieht der hervorragende “Sturm“ seine Spannung.

Hamburg. Ein scheinbar unwichtiges Detail kippt beinahe einen Kriegsverbrecher-Prozess vor dem Gerichtshof in Den Haag. Zeuge und Verteidigung können sich nicht über den Wendekreis eines Busses einigen. Es kommt zu einem Ortstermin in Bosnien. Dabei wird deutlich: Der Zeuge hat gelogen. Anklägerin Hannah Maynard (Kerry Fox) ist entsetzt. Mit viel Engagement hat die Juristin einen gewissen Goran Duric vor Gericht gebracht. Er soll als Befehlshaber der jugoslawischen Volksarmee vor 15 Jahren an Gräueltaten beteiligt gewesen sein.

Kurz danach bringt der vermeintliche Zeuge sich um. Nach der Beerdigung lernt Hannah seine Schwester Mira (Anamaria Marinca) kennen. Sie könnte ihr helfen, denn auch sie ist damals Opfer von Gewalt geworden. Die junge Mutter müsste sich dazu an unangenehme Ereignisse erinnern, die lange zurückliegen. Und sie müsste sich und ihre Familie in Gefahr bringen. Andererseits wäre sie wie die Anklägerin an einer Aufklärung der Ereignisse interessiert. Das sind aber längst nicht alle Beteiligten. Hannahs Kampf für Gerechtigkeit wird von Zweifeln angefressen und droht ins Leere zu laufen. Sie bekommt Gegenwind aus vielen Richtungen. Zuletzt sogar von ihrem Freund (Rolf Lassgård) und den Kollegen im Gerichtshof selbst, die eine außergerichtliche Vereinbarung auf Kosten der Gerechtigkeit in Erwägung ziehen, für die sie arbeitet.

Mit "Sturm" hat Hans-Christian Schmid eine raffinierte, vielschichtige und stimmige Mischung aus Politthriller und Gerichtsdrama geschaffen. Der Fall ist fiktiv, wirkt aber vor dem Hintergrund der laufenden Verfahren hochaktuell. Schmid hat einen hervorragenden Cast zusammenbekommen, in dem Kerry Fox ("Intimacy") und Anamaria Marinca ("4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage") mit hervorragenden Charakterstudien brillieren. Zusammen mit seinem Drehbuchpartner Bernd Lange hat er eine hochgradig spannende Geschichte erdacht, die er raffiniert, aber ohne reißerische Elemente inszeniert. Er verlässt sich auf die psychologische Tiefenschärfe der Charaktere und wirft interessante Fragen auf: Wie effektiv arbeitet der Internationale Gerichtshof? Geht es dort um Gerechtigkeit oder um die Abwägung verschiedener Interessen? Wie wichtig sind in so einem Prozess die Zeugen? Schmid, der schon mit so unterschiedlichen Filmen wie der Komödie "Nach fünf im Urwald", dem Grenzland-Drama "Lichter" und dem Exorzismus-Film "Requiem" Erfolge erzielte, bestätigt mit dieser internationalen Koproduktion seinen Platz im Spitzenfeld der deutschen Regisseure.

+++++ Sturm Deutschland, Dänemark 2009, 103 Min., ab 12 J., R: Hans-Christian Schmid, D: Kerry Fox, Anamaria Marinca, Stephen Dillane, Rolf , Alexander Fehling, täglich im Holi und Koralle-Kino; www.sturm-der-film.de