Michael Hanekes Film “Das weiße Band“ zeigt Menschen und Mächte im protestantischen Norden vor dem Ersten Weltkrieg

Ein protestantisches Dorf in Mecklenburg. Hier scheint im Sommer 1913 die Welt noch in Ordnung zu sein. Das ist ein Baron (Ulrich Tukur), der den Dorfbewohnern Arbeit gibt, ein Pastor (Burghart Klaußner), der sich um ihr seelisches Wohl kümmert, ein Arzt (Rainer Bock), der Hausbesuche macht. Und der Dorflehrer (Christian Friedel), der als Erzähler versucht, Licht ins Dunkel der nun folgenden Geschichte zu bringen. Dass seine soignierte Stimme - sie gehört Ernst Jacobi - nicht zum jugendlichen Äußeren passt, weist seine Erzählung als Erinnerung, viele Jahre später vorgetragen, aus.

Es beginnt damit, dass der Arzt vom Pferd stürzt und sich den Arm auskugelt. Die Ursache: ein dünner Draht, zwischen zwei Bäumen gespannt. Wer sind die Täter, was ihre Motive? Damit nicht genug: Ein Kind des Barons wird auf abstoßende Weise misshandelt, eine Scheune des Gutes geht in Flammen auf. Als dann auch noch ein geistig behinderter Junge brutal verprügelt wird und fast sein Augenlicht verliert, ruft man Polizisten aus Berlin zu Hilfe. Doch nur der Dorflehrer weiß um das Geheimnis der grausamen Taten.

Das klingt wie ein "Tatort" im historischen Gewand. Doch nichts liegt dem österreichischen Regisseur Michael Haneke ferner. Schon der Untertitel verweist darauf, dass es hier um mehr geht als die Lösung eines "Falles". Haneke beschreibt in strengen, manchmal überwältigend schönen Schwarz-Weiß-Bildern eine dörfliche, streng gläubige Gemeinschaft, deren Repräsentanten ihr Ansehen auf Angst und Schuldgefühlen aufbauen.

So heftet der Pastor seinen Kindern eine weiße Schleife - "Das weiße Band" des Titels - ans Revers, um sie an Unschuld und Reinheit zu erinnern. Mit unbarmherziger Strenge fordert er Gehorsam und Disziplin und erntet nur Trotz und Hass. Haneke beschreibt präzise die Folgen einer seelenlosen Erziehung und die Pervertierung von Idealen. Mehr noch: Auch die Verhältnisse zwischen Mann und Frau oder Tagelöhnern und Baron sind von Abhängigkeiten und Wut geprägt, sodass der Beginn des Ersten Weltkriegs fast wie eine Erlösung wirkt. Das macht Hanekes Film, trotz der geschichtlichen Verortung, offen für Interpretationen, vom Faschismus über die RAF bis zum islamistischen Terror.

Haneke hat seinen bislang zugänglichsten und vielleicht sogar besten Film inszeniert: Scheinbar mühelos verquickt er die einzelnen Episoden zu einem packenden Drama, betört durch atemberaubende Landschaftsaufnahmen, die den Wechsel der Jahreszeiten spürbar machen, und überrascht durch ein perfekt harmonierendes Schauspielerensemble, aus dem man niemanden hervorheben mag. Dafür gab es im Frühsommer zu Recht die Goldene Palme von Cannes.

+++++ Das weiße Band - Eine deutsche Kindergeschichte Dtl./Österr./ Frkr./Ital. 2009, 144 Min., ab 12 J., R: Michael Haneke, D: Christian Friedel, Leonie Benesch, Ulrich Tukur, täglich im Abaton, Holi, Zeise; www.dasweisseband.x-verleih.de