Silvester 999 war kein Spaß. Die Leute kauerten in ihren Höhlen und geißelten sich, um abzutun ihre Sünden vor dem verheißenen Weltuntergang zur Jahrtausendwende.

Der blieb aus; am Neujahrsmorgen stand die Sonne wie gewohnt am Himmel. Mit diesem gleißend hellen Triumph der Wirklichkeit über die Propheten der Finsternis hebt Margarethe von Trottas neuer Film "Vision" an, der als in mutigen Sprüngen montiertes Stationendrama das Leben der Hildegard von Bingen (ca. 1098-1179) erzählt, ihrerseits ein strahlend helles Licht in der Welt.

Früh ins von Mönchen und Nonnen bewohnte Benediktinerkloster Disibodenberg gegeben, setzt sich die von klein auf mit Gesichten und einer schwächlichen Gesundheit geschlagene Hildegard gegen den von überwiegend törichten Männern dominierten Klerus durch und gründet schließlich ihr eigenes Kloster Rupertsberg. Barbara Sukowa vollbringt als zwischen Verhärmung, Kampfgeist, Leiden und Glückseligkeit oszillierende Hildegard schauspielerische Wunder, umso mehr, als ihr außer ihrem Gesicht infolge der Ordenstracht nicht viele Gestaltungsmittel zur Verfügung stehen. Hannah Herzsprung ("Vier Minuten") spielt die Nonne Richardis von Stade, die Hildegard lange glühend ergeben ist. Richardis' Mutter, glänzend besetzt mit Sunnyi Melles, deren Engelsgesicht jederzeit in Bitternis und Härte umschlagen kann, fördert Hildegard finanziell und bricht ihr später das Herz. "Vision" zeigt uns die Heilige als Mensch, fehlbar in ihren Gefühlen, aber unfehlbar in ihrem als Gewissheit geschauten Glauben. Selbst Hildegards lebenslange Freundschaft zum Mönch Volmar (Heino Ferch) bleibt frei von allen Anfechtungen des Fleisches.

Ein paar weniger Nonnen-Aufläufe im Kreuzgang hätten dem Film nicht geschadet. Und eher unfreiwilliges Vergnügen in dem sonst melissengeistlich ernsten Historienbilderbogen bereitet der "Tatort"-Schauspieler Dietz-Werner Steck: Die Tonsur nützt ihm leider überhaupt nichts. Wir hören in breitem Schwäbisch Kommissar Bienzle gegen Hildegard anschwätzen.

+++-- Vision - Aus dem Leben der Hildegard von Bingen Deutschland 2009, 111 Minuten, ab 12 Jahren, R: Margarethe von Trotta, D: Barbara Sukowa, Hannah Herzsprung, Alexander Held, täglich im Blankeneser, Holi, Koralle, www.vision-derfilm.de