Der Kinofilm “Joschka und Herr Fischer“ ist wenig kritisch und ein schwerer Brocken, aber immerhin eine Zeitreise durch 60 Jahre BRD.

Berlin. Der Herr Fischer steht in der Kulisse einer düsteren Industriearchitektur und philosophiert über die RAF-Zeit. Zwischen Eltern und Kindern habe sich damals "fast so etwas wie eine griechische Tragödie" abgespielt, sagt der 63-Jährige und schaut dabei beiläufig auf die Schwarz-Weiß-Bilder, die in Endlosschleifen auf Glaswände projiziert werden und die Säulenhalle des stillgelegten Ostberliner Heizkraftwerks in ein kaltes Licht tauchen. Dass es eine Tragödie war, an der er selbst als Steinewerfer und Kommandant der sogenannten Frankfurter "Putztruppe" so eben noch vorbeigeschrammt ist, sagt er nicht. Nur so viel: "Die Schleyer-Ermordung hat das Land sehr verändert. Das war das Gegenteil von dem, was unsereins gewollt hat." Der Herr Fischer diagnostiziert "revolutionären Selbstbetrug", erinnert sich an Erschöpfung und Resignation und daran, dass er sich damals durchs Taxifahren aus der politischen Sackgasse hinausmanövriert habe. Durch diesen Job sei er zum Realo geworden. Auf den Fahrten durch das nächtliche Frankfurt habe er begriffen, dass das Großartige und das Hundsgemeine bei jedem Menschen dicht beieinanderlägen ...

Fast zweieinhalb Stunden dauert Pepe Danquarts Dokumentarfilm "Joschka und Herr Fischer", der am Donnerstag in die Kinos kommt. Es ist eine Hommage für den Metzgersohn aus Gerabronn, der vom Stadtguerillero zum Bundesaußenminister aufstieg, ohne je einen Schulabschluss geschweige denn irgendeine Ausbildung gemacht zu haben. Für den unsteten Intellektuellen, der die erste Hälfte seines Lebens als Sponti verbracht hat - "Passte es mir nicht - tschüs!" -, 1982 zu den Grünen stieß und erst auf dem langen Marsch durch die Institutionen zum Staatsmann reifte. Eben vom "Joschka" zum "Herrn Fischer".

Danquart macht keinen Hehl daraus, dass er Joschka Fischer privat und politisch schätzt. Vom ersten Moment an, so der 1994 für seinen Kurzfilm "Schwarzfahrer" mit einem Oscar dekorierte Regisseur, sei man sich "auf Augenhöhe" begegnet. Das gegenseitige Vertrauen sei für die Arbeit unabdingbar gewesen. "Es entstand dadurch die Basis dafür, innovativ zu sein, ein hohes Risiko einzugehen, was die visuelle Umsetzung angeht."

Danquart hat Joschka Fischer im "Tresor" in Szene gesetzt. In Berlins ältestem Techno-Klub, durch den sonst die brüllend lauten Bassdrums elektronischer Musik wummern. Einer martialischen Location, in der sich die Generation der 30-Jährigen Nacht für Nacht verausgabt. Unter Danquarts Regie wird diese Betonhalle zu einer Art archaischem Geschichtsbunker, in dem der Herr Fischer herumsteht und -geht und sein Leben kommentiert. Der Clou daran ist, dass dieses Leben fast aufs Jahr genau die Bundesrepublik abdeckt. Denn Joseph Martin Fischer wurde im April 1948 geboren, also ein Jahr vor Inkrafttreten des Grundgesetzes. Weshalb Danquart seinem Dokumentarfilm den Untertitel "Eine Zeitreise durch 60 Jahre Deutschland" gegeben hat.

Der Regisseur ist entschlossen, seinen Hauptdarsteller auf dieser Reise gut aussehen zu lassen. Zu Anfang sieht man den damaligen Bundesaußenminister aus der Ferne im Watt, gefolgt von einer Karawane von Journalisten. Zu Anfang denkt man noch, dass dieser Film auch Witz haben wird, aber dann erweist er sich doch als enorm zäher Brocken. Als gefilmter Geschichtsunterricht, der aneinanderreiht, was die meisten ohnehin wussten: dass Fischers Eltern Ungarn 1946 verlassen mussten, dass er streng katholisch erzogen wurde, sogar Ministrant gewesen ist und sich nach dem Schulabbruch in den verschiedensten Jobs versuchte, bevor ihm aufging, dass er ein geborener Redner war. Danquart erlaubt Fischer, seine Biografie in ein mildes Licht zu tauchen. Der alte Herr Fischer übt Nachsicht mit dem jungen Joschka und zieht zur Erklärung für dessen Radikalisierung das "Aufwachsen im Zwielicht" heran. Zwischen demokratischer Wirklichkeit und gefühlter Opferrolle, in der sich Fischers Eltern als Vertriebene eingerichtet hatten. Danquart lässt es seinem Protagonisten sogar durchgehen, wenn er sich stilisiert. Etwa im Zusammenhang mit einer Demo, die ihm nicht nur die ersten Prügel einbrachte - "Ich wurde furchtbar durchgedroschen!" -, sondern nach der ihm auch eine Haftstrafe aufgebrummt wurde. "Sechs Wochen ohne Bewährung", sagt Fischer verständnisheischend, "das radikalisiert!" Tatsächlich ist er damals wenig später amnestiert worden. Politische Gegner Fischers kommen nicht zu Wort, und sein Privatleben wird - abgesehen von ein paar Kinderbildern - komplett ausgespart. Wenn der einstige Superstar der Grünen sagt, dass er nicht wisse, ob seine Mutter ihn je gewählt habe, dann darf diese Bemerkung schon als Gipfel der familiären Indiskretion gelten.

"Es war nicht meine Aufgabe, investigativen Journalismus zu betreiben", sagt Pepe Danquart, der nicht nur 72 Minuten Dokumentarmaterial zusammengeschnitten, sondern auch ein paar alte Freunde und Weggefährten von Joschka Fischer vor die Kamera gezogen hat. Allen voran Daniel Cohn-Bendit, der Fischer antrieb, als erster Grüner überhaupt Minister zu werden. Im Film versichert Fischer dann noch einmal, die Turnschuhe zur Vereidigung im hessischen Landtag im Prinzip nur widerwillig angezogen zu haben: "Aber mein Aufzug musste sein. Da mussten die durch!" Und er berichtet über die Isolation in diesem Amt, das er nicht im Griff hatte und das ihm so viel Angst machte, dass er anfing, den Frust in sich hineinzufressen. "Das", so Fischer rückblickend, "war auch die Zeit, in der ich anfing, dick zu werden." Es ist einer der wenigen Momente, in denen man den Menschen hinter dem Politiker erkennen kann, aber Fischer zieht den Vorhang schnell wieder zu. Und Danquart ist entweder nicht fähig oder nicht willens, Fischer mehr von solchen Augenblicken der Wahrheit abzutrotzen. Schade. "Wenn es vorbei ist, ist es vorbei", sagt Fischer am Ende des Films. Und dass er sein Bundestagsmandat im September 2006 niedergelegt habe, weil er nicht als Denkmal seiner selbst auf den Hinterbänken des Bundestags enden wollte.

Genau dieses Denkmal hat Danquart jetzt aus Fischer gemacht.