Hamburg. Cape Cod ist eine Halbinsel im Süden des US-Staats Massachusetts. Es gibt Kleinstädte, die von der Fischerei leben, außerdem hat sich umfangreicher, eher anspruchsvoller Tourismus entwickelt – die Region ist friedlich, abgeschieden, ruhig. Und entsprechend das perfekte Ziel für Michael, einen Waisenjungen, der 1950 aus dem kriegszerstörten Deutschland in die USA gebracht wird.
Das Trauma des Krieges überwinden sollten die Jugendlichen, die nach dem Zweiten Weltkrieg eine zweite Chance bekamen, „Trumans Waisen“, wie sie nach dem damaligen US-Präsidenten Harry S. Truman genannt wurden.
Im Hamburger Literaturhaus wird aus Dwyer Hickeys Buch „Schmales Land“ gelesen
Die Ruhe auf Cape Cod erscheint für Michael allerdings als Einsamkeit. Der Junge kapselt sich ab, findet keinen Kontakt zu den Mitmenschen, so gutwillig diese auch sein mögen. Erst als er eine ältere Frau trifft, die ebenso einsam scheint wie er, öffnet er sich ein Stück weit: Jo ist die Frau des Malers Edward Hopper, selbst Künstlerin, die ihre Ambitionen allerdings zugunsten ihres Mannes zurückgestellt hat und jetzt unter seiner Gefühlskälte (und der Langweile) leidet.
Christine Dwyer Hickeys Roman „Schmales Land“ beschreibt diese Annäherung zweier verlorener Seelen so distanziert wie detailgenau. Das beginnt schon im Titel: Die irische Autorin zielt hier nicht etwa auf die Sandstrände oder auf die an der US-Nordostküste präsente Kabeljaufischerei ab, was den Ort genauer charakterisieren würde. Stattdessen bleibt sie bei der nüchternen Beschreibung einer Nehrungsküste: Das Land ist schmal. Was bei genauer Betrachtung allerdings auch als Enge interpretiert werden kann – hier kommt man nicht so einfach weg, egal wohin man geht, man steht schnell wieder vor einer Küste. So etwas prägt die Menschen.
Der neue Roman ist ein hochkreatives Spiel mit Perspektiven
Nahezu filmisch skizziert Hickey das Geschehen: Der Einstieg, als Michael in New York in den Zug nach Norden gesetzt wird, das Strandhaus der Hoppers: Lange gleitet die Erzählerinnenperspektive über die Details, wie eine Filmkamera, die sich Zeit nimmt, auch Kleinigkeiten aus der Kulisse einzufangen. Manchmal erscheint einem das ein wenig länglich, auch langweilig, es ist aber tatsächlich ein genauer Blick, der dem unspektakulären Alltag auf der Halbinsel entspricht.
Und er entspricht auch der beschriebenen Kunst. Hickey hat den Realismus von Hoppers Gemälden quasi in die Literatur übertragen, die Genauigkeit der Figuren- und Landschaftsskizzen, hinter der sich eine große Leere versteckt, Unaufgeregtheit, aber auch Kälte. Im Grunde ist „Schmales Land“ ein Künstlerroman, der mehr über die Kunst eines der wichtigsten US-Maler im 20. Jahrhundert verrät, als man auf den ersten Blick erkennt.
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Aber es ist auch ein feministisches Statement, das etwas erzählt über bewusst verschüttete weibliche Kreativität im Gefängnis einer Ehe. Und nicht zuletzt erzählt Hickey historisch, von den Wunden des Krieges, die sich im Blick eines zehnjährigen Jungen spiegeln. Das ist dieser lange, suggestive Roman nämlich auch: ein hochkreatives Spiel mit Perspektiven.
Die Autorin liest am Dienstag, 13. Juni, um 19.30 Uhr im Literaturhaus. Den deutschen Text liest Schauspielhaus-Ensemblemitglied Julia Wieninger, Tickets unter www.literaturhaus-hamburg.de, auch als Live-Stream
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