Frankfurt/Main. Die Autorin des “Wuhan Diary“ hat einen eindringlichen und mutigen Roman über die Bodenreform nach 1948 vorgelegt. Millionen Chinesen wurden hingerichtet, die Überlebenden sind bis heute traumatisiert.

Kein weiches Begräbnis! Kein weiches Begräbnis! Was bitte soll das sein, ein weiches Begräbnis? Der Sohn von Ding Zitao kann jedenfalls nichts damit anfangen und vergisst die Worte seiner Mutter - bis er entdeckt, welch schreckliche Geschichte sich dahinter verbirgt.

Ihr ganzes Leben hat seine Mutter damit verbracht, die traumatischen Erlebnisse zu verdrängen. Als sie ins Wachkoma fällt, drängt das vergessene und verdrängte Kapitel aus Chinas jüngster Vergangenheit an die Oberfläche.

Im Westen wurde die heute 65-Jährige Autorin 2020 mit ihrem "Wuhan Diary" bekannt. In ihrer Heimat brachte sie das Tagebuch massiv unter Beschuss. Dem Roman war es einige Jahre zuvor ähnlich ergangen: Bei Erscheinen 2016 wurde er als wichtigstes chinesisches Werk der letzten Jahrzehnte gefeiert, wie der Verlag Hoffmann und Campe berichtet. "Kurz darauf wurde das Buch bei einer Parteizusammenkunft mit dem Vokabular der Kulturrevolution als "Giftpflanze" verbrämt und verschwand vom Markt."

In der Übersetzung von Michael Kahn-Ackermann ist der Roman nun auch auf Deutsch erhältlich. Und er lohnt sich - nicht nur aus historisch-politischem Interesse, sondern auch literarisch. Fang Fang baut eine rückwärts laufende Klimax. Die Protagonistin erinnert sich zuerst an die zeitlich jüngsten Ereignisse des verdrängten Geschehens: ihre Rettung. Von dort aus geht sie immer weiter zurück - bis zur öffentlichen Demütigung ihrer Eltern und dem kollektiven Suizid ihrer Schwiegerfamilie. Als einzige Überlebende muss sie die Leichen "weich" - ohne Sarg - im Hof des Anwesens verscharren.

Familie Lu war geachtet und mächtig, Familie Hu bestand aus Gelehrten und Schöngeistern. Das Haus der Lus hieß "Die Halle des dreifachen Wissens", das der Hus "Die Strohhütte des Ertragens". Nur: Erdulden, der Gemeinschaft dienen, Wissen ansammeln oder Gutes zu tun war nicht genug, als Ende der 1940er Jahre Großgrundbesitzer vernichtet werden sollten. Reiche Familien wurden "bekämpft", egal wie sie sich verhalten hatten und wie sie zum aufstrebenden Kommunismus standen.

Was bekämpft meint, wird in dem Buch mehr als deutlich: Menschen wurden auf Marktplätzen gefoltert und gedemütigt, bisweilen mit ölgetränkten Tüchern umwickelt und als "Himmelslaternen" verbrannt. Ihr Besitz wurde verteilt, ihre Häuser zerstört. Über die Ruinen dieser Paläste führt ein anderer Pfad in die Geschichte von Ding Zitao und der Bodenreform: Qinglin, ihr Sohn, hat einen Freund, der die Baugeschichte verfallener Paläste auf dem Land erforscht. Auf ihren Reisen kommen sie der Geschichte der Mutter unverhofft näher.

Aber soll man alles ausgraben, alles ans Licht zerren, was diejenigen, die es erlebt haben, lebenslang vergessen wollten? Als auch noch ein Tagebuch seines Vaters auftaucht, ist sich Qinglin nicht mehr sicher, wie weit er in die Vergangenheit vordringen soll. Aber der Leser ist dank der Rückblenden seiner Mutter Ding Zitao schon mitten drin.

Die Geschichte hat ein reales Vorbild, wie die Autorin im Nachwort berichtet, die Mutter einer Freundin. "Nicht allein ihre Familie, auch die Familien meiner Eltern, die Familien zahlreicher Freunde, Bekannten und Nachbarn, haben diese Zeit durchlebt", schreibt Fang Fang. "Die Schmach und Demütigung hatten körperliche wie seelische Folgen (...), das ist der Grund dafür, dass nahezu alle Betroffenen sich dafür entschieden, die Erinnerung an dieses würdelose Leben, an die ihnen persönlich zugefügten Narben, tief in ihrem Inneren zu begraben."

"Fang Fangs Roman ist im Kern ein Buch über das Vergessen und das Erinnern", schreibt der Übersetzer Michael Kahn-Ackermann. Totalitäre Regime versuchten seit jeher, die Erinnerung an unangenehme Ereignisse aus der Geschichte auszulöschen: entweder durch Umdeutung ins Positive oder durch Unterdrückung der Erinnerung. "Beide Strategien wurden und werden in der Volksrepublik China häufig und erfolgreich angewandt", schreibt Kahn-Ackermann. Seine Übersetzung wirkt etwas steif, das nimmt dem Geschehen etwas von seiner emotionalen Wucht.

Dennoch sei Fang Fang keine Dissidentin, schreibt Kahn-Ackermann, "allenfalls eine streitbare Humanistin". Sie verurteile weder die Täter noch die, die sich für das Vergessen entscheiden. Sie gebe nur den Opfern eine Stimme, erlaube Mitgefühl. "Dass damit die propagandistische Heldenerzählung der Bodenreform, die mit der historischen Wahrheit wenig gemein hat, korrigiert wird, ist in den Augen von Fang Fangs Gegnern unverzeihlich."

- Fang Fang: Weiches Begräbnis. Aus dem Chinesischen von Michael Kahn-Ackermann, Verlag Hoffmann und Campe, 448 Seiten, 26 Euro, ISBN 978-3-455-01103-6.

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