Der Züricher Rabbiner Gabriel Klein hat in den Romanen von Alfred Bodenheimer ein beachtliches Talent als Mordermittler an den Tag gelegt. In “Der böse Trieb“ gerät Klein in einen tragischen Fall mit ethischen Dimensionen.

Berlin (dpa) – Gabriel Klein ist ein vielbeschäftigter Mann. Der Rabbiner der jüdischen Gemeinde von Zürich muss einen großen Feiertag vorbereiten, seinen anspruchsvollen Gemeindemitgliedern als Seelsorger zur Verfügung stehen und natürlich seiner Frau und seinen Töchtern ein guter Ehemann und Vater sein.

Und dann wird Viktor Ehrenreich ermordet. Der lebte zwar jenseits der Grenze in Deutschland, aber da er sich mit der dortigen Gemeinde zerstritten hatte, war Gabriel Klein zu seinem geistlichen Berater geworden, mit dem er regelmäßig sogenannte Seelengespräche führte. So ist es für Klein selbstverständlich, Ehrenreichs Witwe den Wunsch zu erfüllen, die Trauerrede zu halten.

Der Fall, den Alfred Bodenheimer in seinem Roman "Der böse Trieb" erzählt, ist rätselhaft. Der Zahnarzt Ehrenreich wurde erschossen, während er allein in seinem Haus war. Es gibt keine Einbruchs- oder Diebstahlspuren, lediglich zwei Einschusslöcher, eines im Klavier und eines in Ehrenreichs Kopf. Niemand kann sich vorstellen, wen der Tote so gegen sich aufgebracht haben könnte.

Eigentlich wäre Kleins Rolle mit der Trauerfeier erfüllt, und er könnte sich wieder den zahlreichen Aufgaben in seiner Gemeinde widmen, aber so einfach macht es ihm Bodenheimer nicht. Kleins Charakter erlaubt es ihm nicht, einfach zum Alltag überzugehen: "Etwas über Rückkehr und Versöhnung, die Leitmotive der Hohen Feiertage zu formulieren, während der Mord an Viktor unaufgeklärt blieb und sein Mörder frei herumlief, fiel Klein schwer."

Also hört Klein sich in Ehrenrichs Bekanntenkreis um und erfährt einiges, das ihn skeptisch macht. So war der Zahnarzt mit den anderen Gemeindemitgliedern nicht nur so zerstritten, dass kaum jemand zu seiner Beerdigung kommt, er hatte auch mit einem Freund eine Bewegung gegründet hatte, die an die Lehren des Rabbi Israel Salanter aus dem 19. Jahrhundert anknüpfend die Überwindung des jedem Menschen innewohnenden "bösen Triebs" propagierte. War er mit seiner Forderung zur Selbstüberwindung jemandem in die Quere gekommen?

Alfred Bodenheimer ist Professor für Jüdische Literatur und Religionsgeschichte in Basel, kennt sich also bestens mit den religiösen Vorschriften und Traditionen der Schweizer Juden aus. Wie schon in seinen früheren Romanen um Gabriel Klein hat er diese Aspekte jüdischen Lebens in die Erzählung eingeflochten. So setzt sich Klein mit mehreren Aspekten von Ehrenreichs Leben auseinander. Und fragt sich, welche Rolle ein befreundetes Paar spielt, für das eheliche Treue "das Geschäftsprinzip" ihres Youtube-Kanals ist.

Während Klein versucht, sich über die Vorgänge klar zu werden, die zu Ehrenreichs Tod geführt haben, muss er gleichzeitig ein ganz anderes Problem lösen. In gutem Glauben, den Interessen seiner Gemeinde zu dienen, hatte er sich in wirtschaftliche Beziehungen eingemischt. Klein gerät an die Grenzen seiner Möglichkeiten. Er stellt sogar seine Zukunft in der Gemeinde infrage.

Klein ist immer auf das angewiesen, was ihm die Leute erzählen, und er stellt betrübt fest, dass er oft zu naiv und leichtgläubig ist, wenn es darum geht zu unterscheiden, wer ehrlich ist und wer nur auf seinen Vorteil bedacht ist. Aber er ist fantasiebegabt und kreativ. So gelingt es ihm schließlich, die verwickelten Hintergründe des Mordes aufzudecken.

Bodenheimer versteht es, durch falsche Fährten die Spannung aufrecht zu halten, bis klar ist, was sich in Ehrenreichs Haus abgespielt hat, und vor allem, warum. Er präsentiert seine Hauptfigur glaubhaft als normalen Menschen voller Schwächen, der um das Wohl seiner Mitmenschen besorgt ist und dazu beiträgt, was er kann, und sei es als privater Ermittler.

Alfred Bodenheimer: Der böse Trieb. Kampa Verlag, Zürich, 254 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 978-3-311-12530-3

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