Berlin. Von der jungen Rebellin zur fröhlichen Alten: Isabel Allende erzählt ihr Leben als persönliche Emanzipationsgeschichte und Kampf für die Frauen.

"Ich erinnere mich an meine Kindheit als an eine Zeit voller Furcht und Dunkelheit", schreibt Isabel Allende in ihrem neuen Buch.

"Doch ich bin dankbar für diese unglückliche Zeit, weil sie mir Stoff für mein Schreiben liefert. Wie Romanautoren klarkommen, die eine angenehme Kindheit in einem normalen Zuhause hatten, ist mir rätselhaft." Die Gespenster, die das Kind heimsuchten, belebten später Werke wie "Das Geisterhaus" und machten sie zu Bestsellern. Allendes Kindheit in Chile und Peru wurde vor allem durch die frühe Trennung ihrer Eltern überschattet und den Statusverlust, den ihre sitzengelassene Mutter - von ihr liebevoll Panchita genannt - durch diese gescheiterte Ehe erlitt. Obwohl sie eine beeindruckende Frau war, verfügte ihre Mutter weder über eine Berufsausbildung noch über Geld oder Freiheit. Für die Tochter war sie Opfer einer rückständigen Gesellschaft. Allendes "Zorn auf den Machismo begann in diesen Kinderjahren."

Das neue Buch der Schriftstellerin "Was wir Frauen wollen", das im ersten Lockdown des Coronajahres 2020 an ihrem Schreibtisch in Kalifornien entstand, ist eine Mischung aus Autobiografie und feministischem Manifest. In vielen ihrer etwa 20 Bücher lässt die gebürtige Chilenin familiäre Erinnerungen einfließen, dieses aber ist ihr wohl persönlichstes Werk geworden. Im lockeren Plauderton erzählt die inzwischen 78-Jährige von ihrer Familie, ihren drei Ehen, ihren Kindern und Enkeln, aber auch von ihren ersten Erfolgen als Journalistin im Chile der 60er Jahre und ihrem spektakulären Durchbruch als Autorin 1982.

Präsentiert wird das Buch als weibliche Emanzipationsgeschichte - von der ersten Auflehnung in der Kindheit, über den Ausbruch aus dem öden Hausfrauendasein ("Mein Hirn wurde zur Nudelsuppe") und ihren ersten frauenbewegten Jahren bei der Zeitschrift "Paula" bis zur Gründung einer Stiftung durch die bereits etablierte Schriftstellerin zur Unterstützung lateinamerikanischer Zuwanderinnen in den USA.

Feminismus ist für Allende "eine philosophische Haltung und eine Auflehnung gegen die Herrschaft der Männer". Wenig schmeichelhaft sieht die Autorin Männer an der "Spitze der Raubtiere", verantwortlich für die "raffgierige und gewalttätige Kultur, in der wir leben". Die eher theoretischen Passagen werden aufgelockert durch aufrüttelnde Alltagsszenen.

Da gibt es zum Beispiel diese herzzerreißende Begegnung während einer Indienreise Mitte der 90er Jahre. Isabel Allende und ihr Mann treffen auf eine Gruppe junger bettelarmer Frauen. Plötzlich übergibt eine der Frauen der Schriftstellerin ein Bündel aus Lumpen mit einem neugeborenen Baby. "Niemand will ein Mädchen", erklärt ihr indischer Fahrer die befremdliche Situation.

In einer anderen berührenden Szene begleitet die junge Autorin eine Bekannte zu einer heimlichen Abtreibung. Der Abbruch der Schwangerschaft stand noch bis 2017 in Chile unter Strafe, auch bei Vergewaltigung und Lebensgefahr für die Mutter.

Am Schluss präsentiert sich Isabel Allende als fröhliche Alte. Vor zwei Jahren hat sie wieder geheiratet. Die Ehe kam auf ungewöhnliche Art und Weise zustande. Ihr dritter Ehemann, der Anwalt Roger Cukras, war nämlich ein Fan von ihr, der sie so lange mit E-Mails bombardierte, bis es zu einer persönlichen Begegnung kam. Das Glück, noch einmal eine Liebe im Alter zu finden, hat nicht jede und genauso ist es ein Privileg, materiell sorgenfrei zu sein. Das erkennt die Autorin unumwunden an.

Über das Alter schreibt sie: "Mein Alter ist ein kostbares Geschenk. Mein Gehirn funktioniert noch. Ich mag mein Gehirn. Ich habe die Unsicherheit überwunden, die absurden Wünsche, die sinnlosen Komplexe und andere Todsünden, die nicht der Rede wert sind. Ich lasse gehen, lasse los...Das hätte ich früher tun sollen."

Isabel Allende: Was wir Frauen wollen, Suhrkamp Verlag, Berlin, 184 Seiten, 18,00 Euro, ISBN 978-3-518-42980-8

© dpa-infocom, dpa:210223-99-556388/3