Hannover/Berlin. Alte Sachen, die er nicht mehr braucht, stellt er in Geschäfte. Seine Tochter erzieht ihn statt er sie. Und Suchmaschinen rufen ihn an, um sich über sein Leben zu beklagen. Hat es die Menschen klüger gemacht, immer Zugriff auf sämtliches Wissen zu haben? Horst Evers weiß Rat.

Er war mal die linke Hand Gottes. Und Landmaschinenmechaniker-Assistent. Träger der Ausrüstung des Fotolokaljournalisten. Rockstar. Erfinder von Berliner Redensarten. Haben Sie das gewusst über den Kabarettisten und Autor Horst Evers?

Wo wir doch dank des Internets Zugriff auf das gesamte Wissen der Menschheit haben. Aber so einfach ist es nicht. Evers kommt zu dem Schluss: "Wer alles weiß, hat keine Ahnung". So heißt sein neues Buch. Immer selbstironisch, manchmal boshaft, nie bösartig nimmt der schnoddrige Erzähler nicht nur seine Mitmenschen, sondern vor allem sich selbst aufs Korn. Selbst der Corona-Pandemie gewinnt er amüsante Erkenntnisse ab. Und: Jetzt dichtet er auch noch.

Aber kurz. "Sieht deine Wohnung verlassen aus, bist du wahrscheinlich nicht zu Haus." Oder: "Ist beim Grillen leer dein Teller, war der Hund mal wieder schneller." So sehen die knappen Werke, eher Einsprengsel, aus - eine tiefe Wahrheit verkünden sie dennoch. Das gilt auch für zwiespältige Komplimente zu seiner Corona-Maske, befürchtet der Autor. Oft gehört habe er die Sätze "Die Maske steht dir wirklich gut" oder "Durch die Maske bekommt dein Gesicht irgendwie etwas Besonderes". Oder noch schlimmer: "Du hast echt ein Maskengesicht". Seine Schlussfolgerung: "Leider war jeder dieser Sätze glaubhaft gut gemeint und damit natürlich zusätzlich niederschmetternd."

Im jüngsten Werk des Wahl-Berliners Evers, der aus dem niedersächsischen Diepholz stammt, geht es vor allem um die vermeintliche Allgegenwart des Wissens und die Fallstricke, die sich daraus ergeben. Auf der Suche nach Wissen und Wahrheit erzählt er nicht nur über sein Leben in 13 Berufen - so wurde er als Küchenhilfe zur linken Hand Gottes degradiert. Er gerät auch in Fleischereien, die mit "veganfreier Wurst" werben, oder in Imbisse, die "Kaffee zum Weglaufen" anbieten.

Geradezu lustvoll beschreibt er seinen Kampf mit der Internet-Suchmaschine Google, die ihn als selbstlernendes Sprachprogramm anruft und sein Leben langweilig findet. Und ihm Tipps gibt, interessant für die Algorithmen zu bleiben, während das Programm verzweifelt versucht, so zu sprechen wie der Autor - "Sie mögen Ihre Sprache gerne blasiert, mit extra viel Genitiv". Gleichzeitig entwirft er ein faszinierendes Geschäftsmodell: Nähmen die Algorithmen wegen seines langweiligen Verhaltens Schaden, könne man ihn verklagen, was er gegen eine geringe Gebühr abwenden könne - die auch schon abgebucht sei: "Empfehlen Sie nicht uns weiter, wir empfehlen Sie weiter."

Evers Geschichten machen Spaß, weil sie aus dem Leben gegriffen sind und den Irrsinn des Alltags beschreiben. Manchmal wird es fast surreal - wenn er etwa beim Arzt den Tipp bekommt, angesichts der langen Wartezeit doch eine Pizza zu bestellen. Er werde dann sofort aufgerufen, denn die Pizza bekomme dann doch das Praxispersonal. Oder wenn Erziehung mal aus der Sicht des Kindes beschrieben wird, das ganz genaue Vorstellungen hat und den wohl einmaligen Satz sagt: "Solange ihr euren Tisch über meine Füße stellt ... erwarte ich klare Ansagen."

Amüsant auch das Baugerüst, das am falschen Haus errichtet wurde. Aber nicht wieder abgebaut wird. Man kann es ja vielleicht mal brauchen. So entsteht eine ganz eigene Gerüst-Welt: Galerien, Biobauernstände, Secondhand-Bäckerei und ein Herrenschneider - und natürlich das Gerüstcafé. Eine Meinung hat er auch zur Diskussion über den Gratis-Nahverkehr: Denn gäbe es diesen, würden vermutlich so viele Menschen auf den ÖPNV umsteigen, dass der völlig überlastet wäre. "Eine klassische Berliner Sorge", schreibt Evers. "Vor nichts fürchtet man sich hier so sehr wie vor einem funktionierenden Plan. Denn darauf ist keiner eingestellt."

Horst Evers: Wer alles weiß, hat keine Ahnung, Rowohlt, Berlin, 224 Seiten, 20,00 Euro, ISBN 978-3-7371-0099-1

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