Marnheim. Der Schriftstseller Rafik Schami gilt als guter Beobachter seiner Wahlheimat Deutschland. Die Pandemie stoppte eine große Lesereise des 74-Jährigen. Doch der Autor ist zuversichtlich.

Nach Nummer 93 war erst einmal Schluss. Die Corona-Pandemie erwischte den Schriftsteller Rafik Schami mitten in einer großen Tournee mit seinem neuen Roman "Die geheime Mission des Kardinals" durch Deutschland, Österreich und die Schweiz. Auftritte in 110 Städten waren geplant.

"Ich musste schweren Herzens am 12. März nach dem 93. Erzählabend abbrechen", sagt Schami. Derzeit nicht vor Publikum auftreten zu können, falle ihm sehr schwer. "Ich mache überhaupt Bücher, um sie mündlich frei zu erzählen. Das ist meine Lebensaufgabe: diese mündliche Erzählkunst zu verteidigen."

Schami wurde 1946 in Damaskus (Syrien) geboren, kam 1971 nach Deutschland und promovierte 1979 in Heidelberg in Chemie. Rafik Schami ist ein Pseudonym und bedeutet "Damaszener Freund". Sein wirklicher Name lautet Suheil Fadél. Er gilt als ein wichtiger Autor deutscher Sprache - "Die Zeit" nennt ihn den "letzten Wanderliteraten". In seinem Krimi "Die geheime Mission des Kardinals" beschreibt der Autor facettenreich die Stimmung in seinem Geburtsland am Vorabend des Krieges. Schami lebt in Marnheim (Rheinland-Pfalz).

Dort sitzt der 74-Jährige nun und hat viel Ruhe für langfristige, literarische Arbeiten. "Komischerweise ähnelt diese Corona-Zeit meinen Urlaubszeiten, wo ich am kreativsten bin", sagt Schami der Deutschen Presse-Agentur. Darüber hinaus erleben seine Frau und er die Freude an einem großen Garten im Donnersbergkreis intensiv wie nie. "Sicher vermissen wir unsere Freunde, die wir sehr gerne empfangen und verwöhnt haben", räumt er ein. "Aber ihre und unsere Sicherheit hat Vorrang."

Schami gilt als brillanter Beobachter der Lebenswirklichkeit um ihn herum. Kritiker schätzen seinen genauen Blick auf den deutschen Alltag, in dem er seit beinahe 50 Jahren lebt. Mit Witz und Liebe erzählt er etwa über Nudelsalat, den deutsche Gäste bei Einladungen mitzubringen haben, oder das irreführende Wort "Leichenschmaus".

Hat Rafik Schami "die Deutschen" in den vergangenen Monaten von einer neuen Seite kennen gelernt? Immerhin wurde tonnenweise Klopapier gekauft, haufenweise Nudeln gegessen und jede Menge Mehl gesammelt? Eigentlich nicht, sagt der Autor, der Thomas Manns "Buddenbrooks" einst mit der Hand abschrieb, um sein Deutsch zu verbessern.

"Über das Klopapier der Deutschen, die Kondome der Franzosen und den Rotwein der Italiener gibt es genug Witze." Überraschungen habe er nicht erlebt. "Es gibt vernünftige, idiotische, vorsichtige und leichtsinnige Deutsche wie bei Franzosen, Italienern oder Arabern."

Entsetzt habe ihn jedoch die umstrittene "Querdenken"-Demonstration in Leipzig Anfang November. Schami sieht in den Reihen der Gegner der Corona-Maßnahmen in Deutschland auch Rechtsradikale, "die auf Kosten der Sicherheit ihres Volkes billig punkten wollen". Hier wünsche er sich ein konsequenteres Durchgreifen der deutschen Behörden. "Wer in dieser Zeit eine solche Veranstaltung genehmigt, hat nichts von der Geschichte dieses Landes verstanden", sagt der Schriftsteller.

Versöhnlicher fällt sein Blick nach vorne aus. "Ich bin vorsichtig optimistisch. Wir werden Zeit brauchen, aber Corona wohl besiegen und wieder froh ohne Maske leben", sagt der Autor. "Je disziplinierter wir sind, umso schneller kehren wir zur Normalität zurück."

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